Leichtes Beben
das Pseudonym Mr. Bump gewählt, und als Julia später den Namen googelte, sah sie amüsiert, dass sich dahinter ein fröhliches rosafarbenes Monster verbarg, das immerzu an einem Eis schleckte. Genau betrachtet, hatte sein Deckname zu ihm gepasst, denn Georg, dessen Bewegungen manchmal ähnlich behäbig wirken konnten, hatte sie auf Anhieb mit seinem Optimismus angesteckt.
Julia hatte sich anschließend noch ein paar Mal mit ihm getroffen, und jedes Mal waren sie am Ende wieder im Bett gelandet. Sie mochte es, den Rauch der Zigarette in seinem Mund zu schmecken und dass er immer leise winselte, wenn er in ihr kam. Doch die Verliebtheit, die sie in seinen Augen sah, machte ihr Angst und hielt sie davon ab, ihn anzurufen, wenn sie Lust hatte, ihn wiederzusehen. Außerdem hatte Georg Probleme, und Julia hatte keine Lust auf Probleme. Sie wollte Sex und Spaß und vorher vielleicht ein schönes Essen in angenehmer Atmosphäre. Wenn sie Probleme wollte, brauchte sie bloß ihre Mutter anzurufen. Denn die hatte ihr bis heute nicht verziehen, dass sie, statt wie geplant Pharmazie zu studieren, es sich damals anders überlegt und kurz entschlossen einen Blumenladen eröffnet hatte. Und die Tatsache, dass der Laden bestens lief und Julia einen Lebensstandard ermöglichte, den man durchaus als |93| gehoben bezeichnen durfte, ignorierte sie seit Jahren beharrlich. Der eigentliche Vorwurf an Julia aber war der, dass ihre Mutter auf das Enkelkind, das sie sich so sehnlichst erhofft hatte, seit Jahren vergebens wartete.
Julia aber konnte beim besten Willen nicht erkennen, weshalb sie ein Leben wählen sollte, das ihre Wünsche nicht erfüllte. Sie wollte ihre Phantasien ausleben und war diesbezüglich äußerst flexibel. Eines aber gestattete sie den wechselnden, ihr von Lovepoint zugespielten Bettgefährten nicht: dass sie sich in sie verliebten. Sobald sie den Verdacht hegte, begab sie sich auf den Rückzug.
Julia öffnete die Augen und drückte die Zigarette in dem Aschenbecher, der auf dem Glastisch stand, aus, denn sie glaubte gehört zu haben, dass Leander wach geworden war. Dann stand er auch schon neben ihr, und sie konnte den Schlaf riechen, der aus jeder Pore seines nackten Körpers drang.
»Na, ausgeschlafen?«, fragte sie und zog den Gürtel ihres Bademantels, der sich über ihren nackten Knien geöffnet hatte, enger um sich.
»Geht so«, sagte Leander und legte ihr seine Hand auf die Schulter. Julia spürte ihre Wärme durch den Stoff. Dann nahm er auf dem Sessel ihr gegenüber Platz.
»Ich weiß Bescheid«, sagte er plötzlich. »Du hast mehrmals seinen Namen gerufen. Und du hättest mal hören sollen, wie das klang. O Mann!«
Julia saß ganz ruhig da und holte Luft, um etwas zu sagen, ließ es aber bleiben. Sie sah sich selbst in Leanders |94| braunen Augen und hatte das Gefühl, ganz langsam in sie hineinzufallen wie in einen stillen nächtlichen See. Dabei hörte sie sich lautlos sagen: »Ich bin jetzt achtundvierzig, und wer hätte gedacht, dass alles einmal so kompliziert werden würde?«
|95| Acht
Auf den ersten Blick schien es, als sei der Mann auf einen Stuhl gestiegen, um eine defekte Glühbirne auszuwechseln. Doch dann sah Koch die Schlinge, die etwa zwanzig Zentimeter unterhalb der Decke an der Zuleitung der Lampe befestigt war. Und als der Andere sie sich um den Hals legte und, um zu prüfen, ob sie hielt, ein, zwei Mal kräftig daran zog, gab es für Koch keinen Zweifel: Der Mann war kurz davor, sich aufzuhängen! Am helllichten Tag!
Aufgeregt drehte Koch, der bereits eine ganze Weile an seinem Platz stand und die Fenster der umliegenden Wohnungen beobachtete, an der Justierung des Feldstechers und starrte weiter gebannt hinüber. Das entschlossene, sachliche Vorgehen des Mannes schockierte Koch, imponierte ihm aber auch irgendwie.
Jetzt dauert es wohl nur noch Sekunden, bis es geschieht, bis der Typ da drüben seinem Dasein ein Ende macht, sagte sich Koch. Mit dem Kopf in der Schlinge verharrte der Fremde reglos.
Wahrscheinlich betet er, dachte Koch, ja, ganz sicher tut er das. Doch auf einmal zog der Mann den |96| Kopf aus der Schlinge, stieg zu Kochs Verblüffung, ja Enttäuschung vom Stuhl, wandte sich einer im Hintergrund erkennbaren Stereoanlage zu und hantierte daran herum.
Na, der hat vielleicht Nerven!, dachte Koch, während sein Blick abwechselnd zwischen der Schlinge und dem Unbekannten hin und her sprang. Er dachte: Der hängt sich auf und legt vorher noch seine Lieblingsplatte
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