Leichtes Beben
machen.«
Auch er hatte nie gehört, dass jemand in einem steckengebliebenen Aufzug erstickt wäre. Doch er hatte Lust gehabt, sie ein bisschen zu ängstigen.
»Und das wäre?«, fragte Elke, die inzwischen ebenfalls, mit dem Rücken an die Kabinenwand gelehnt, auf dem Boden saß.
Bellmann schwieg und lauschte auf die Stille. Nicht das leiseste Geräusch drang von außen herein.
Inzwischen saßen sie sicher schon länger als eine Stunde fest, und er hatte nicht die geringste Ahnung, wie er es hier drinnen eine weitere Stunde aushalten sollte. Wenn es ihm gelang, sich mit der Situation abzufinden, so war sie auszuhalten. Ließ er aber den Gedanken zu, sofort hier rauszuwollen, spürte er sogleich einen Anflug von Panik. Spätestens am Montagmorgen würde man sie aus ihrer Lage befreien.
»Oh, verdammt!«, knurrte sie. Sie sprach ihm damit aus dem Herzen.
»Ja, verdammt!«, wiederholte er. Und dann sagte er |120| zu seiner Überraschung: »Weißt du, dass du eine sehr schöne Stimme hast.«
»Ach, komm, lass das.«
»Nein, wirklich. Ich hatte ganz vergessen, wie schön sie ist.«
»Alter Schmeichler.«
Ihm gefiel, wie sie das gesagt hatte. Das Rauchige daran gefiel ihm, hatte ihm immer gefallen. Er fragte sich, wie lange es wohl her war, seit sie so miteinander gesprochen hatten.
»Das ist doch verrückt«, sagte Bellmann.
»Was?«
»Na, das hier! Da reden wir seit Monaten kein Wort mehr miteinander, und nun so was.«
»Wer hat denn mit dem Anwalt angefangen, du oder ich?«
»Du! Nein …« Bellmann korrigierte sich. »Stimmt, ich war’s. Ich hab Bauer angerufen.«
»Na also.«
»Trotzdem«, insistierte er. »So nah waren wir uns schon lange nicht mehr, ich meine räumlich. Wirklich nicht.«
Bellmann ertappte sich dabei, dass er an früher dachte, daran, wie alles angefangen hatte zwischen ihnen. Auf einer Wiese im Schwarzwald. »Ach, Gott«, sagte er.
»Was hast du?«
»Nichts, ich hab bloß daran gedacht …«
»Was?«
»Ich frage mich nur, wie es so weit kommen konnte mit uns.«
|121| »Das kann ich dir sagen«, sagte sie. »Wir waren uns einfach zu sicher.«
»Ich nicht!«, sagte er.
»Doch, du auch.«
»Und nun?«, fragte Bellmann und hätte am liebsten seine Hand nach ihr ausgestreckt.
»Ich habe Durst«, sagte sie.
»Ich auch.«
»Und Hunger.«
Bellmann gefiel, wie sie redeten, und ihm gefiel, dass sie ihm zuhörte, statt nur zu schreien und recht haben zu wollen. Beide hatten sie bloß noch ihre Sätze loswerden wollen, Anklagesätze, Vernichtungssätze. Sie hatten ihre Liebe in kleine Stücke zerhackt.
»Es ist schön, mit dir hier drinnen zu sein«, sagte er.
»Was?«, sagte sie.
»Schön, dass ich mit dir hier festsitze und nicht mit irgendeiner wildfremden Person.«
»So, findest du?«
»Ja, denn schließlich waren wir uns ja mal nah.«
»Ja, das waren wir«, sagte sie, gefolgt von einem Seufzer.
»Sehr sogar«, sagte er. »Verdammt, wie ich das vermisse.«
»Ich auch«, sagte sie nach einer Pause. Im nächsten Moment fühlte er ihre Hand an seinem Bauch. »Elke!«
»Was ist denn?«, sagte sie ganz ruhig, ohne ihre Hand wegzunehmen.
»Glaubst du, sie befreien uns bald?«,fragte Bellmann, nur um irgendetwas zu sagen.
|122| »Das liegt an uns«, sagte sie und schmiegte nun ihren Kopf an seine Brust. Bellmann sog den würzigen Duft ihrer Haare tief ein.
»Wie meinst du das?«
»So, wie ich es gesagt habe«, brummte sie gegen seine Brust, und er konnte spüren, wie die Schwingungen ihrer Stimme kleine Vibrationen darin erzeugten. »Es liegt allein an uns, was wird.«
Er schloss seine Arme um sie, erst den einen, dann den anderen.
»Ja, halt mich«, flüsterte sie.
Bereits eine ganze Weile hielt Bellmann die Augen geschlossen, als er sie fragte: »Sind deine Augen offen?«
Sie schwieg, schmiegte ihren Kopf an seine Brust, atmete gleichmäßig, und Bellmann spürte, wenn sie ausatmete, kleine Wärmeschübe.
»Schläfst du?«, fragte er.
»Ich träume«, sagte sie.
»Wovon?«
»Von einem Leben mit dir.«
Er hatte Angst, dass sie sie fänden und es hell würde und Elke aufhörte zu träumen.
»Gut, dass wir die Letzten waren«, sagte Elke.
»Ja, sehr gut«, sagte er. »Die Letzten werden …«
»Ja«, sagte sie sanft, »die Allerersten!«
Lange verharrten sie reglos in dieser Position, ohne dass Bellmann die Stellung seiner Beine veränderte oder sie ein Wort sprachen. Irgendwann musste er seine Umarmung lockern und sagte: »Entschuldige, ich glaube, mein
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