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Leichtes Beben

Leichtes Beben

Titel: Leichtes Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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linker Arm ist eingeschlafen.«
    |123| Plötzlich drangen von außen Geräusche herein. Das Licht in der Kabine sprang an, und sie lösten sich voneinander.
    »Tja, sie kommen«, sagte Elke und ordnete ihre Haare.
    »Ja, leider«, sagte Bellmann und blickte sie an. Da griff sie über seine Schulter hinweg, ein kurzes Klicken ertönte, und das Licht in der Kabine erlosch wieder.
    »Was hast du gemacht?«, fragte er.
    »Den Notschalter umgelegt«, sagte sie.

|124| Zwölf
    An jenem Abend war ein heftiges Gewitter im Anzug gewesen. Die ersten dicken Tropfen schlugen bereits gegen die Fensterscheiben, und Georg war im Begriff, in den Garten zu eilen, um das Tor zu verriegeln, als das Telefon klingelte. Also machte er kehrt, nahm den Hörer ab, und jemand sagte: »Ich habe einen Mann umgebracht«
    Es war die Stimme seines Vaters. Er sprach leise, beinahe tonlos. Und wohl deswegen erkannte Georg ihn nicht sofort. Doch dann sagte die Stimme etwas lauter: »Er fiel um wie ein Sack Kartoffeln, und jetzt ist der Boden im Wohnzimmer voller Blut.«
    Draußen schlug der Wind das kleine Holztor wieder und wieder gegen den etwas erhöhten Steinvorsprung, der die Rasenfläche zu den Beeten hin abgrenzte.
    »Was ist passiert?«, fragte Georg und spielte mit dem Gedanken, trotz des inzwischen stürmischen Regens rauszulaufen und das Tor zu sichern.
    »Er rannte weg wie ’ne gesengte Sau. Und da habe ich eben zugeschlagen, mit der Vase, verstehst du?«
    |125| Ein Einbrecher, dachte Georg und sagte: »Und er ist tot?«
    »Sieht ganz so aus«, antwortete sein Vater.
    »Du musst die Polizei verständigen«, sagte Georg, weil ihm das in einer solchen Situation vollkommen logisch erschien.
    »Es ist mein Nachbar«, sagte sein Vater. »Er kam aus meinem Schlafzimmer und ist mir direkt in die Arme gelaufen.«
    »Dein Nachbar?« Georg versuchte sich vorzustellen, was da drüben bei seinem Vater los war. Ihre Wohnungen lagen keine zehn Minuten voneinander entfernt. Es wäre also keine große Sache für ihn, auf der Stelle rüberzufahren und sich das Ganze genauer anzusehen. Doch er starrte immerzu in den Garten, wo der Sturm die Ginsterbüsche hin und her peitschte und der Regen die Salatschösslinge und die Erdbeerpflanzen zerwühlte.
    Sein Vater war Vertreter und häufig tagelang am Stück auf Reisen. Seit seine Frau ihn wegen eines Sportlehrers verlassen hatte, lebte er allein in dem für ihn viel zu großen Haus. Immer wieder hatte Georg ihn beschworen, nicht jedes Mal die Rollläden herunterzulassen, wenn er auf Reisen ging, und gesagt: »Andernfalls kannst du gleich einen Zettel an deine Tür kleben, auf dem steht: Liebe Einbrecher! Bin bis dann und dann verreist. Die Geldkassette liegt im Eisfach hinter dem Blattspinat. Aber verschont bitte die neue Couchgarnitur! Das ist doch wie eine Einladung!« Doch sein Vater hatte nicht auf ihn gehört.
    |126| »Aber wieso, zum Teufel, hast du ihn niedergeschlagen, wenn es dein Nachbar ist?«, sagte Georg.
    »Das habe ich doch nicht gewusst, als ich zuschlug«, sagte sein Vater aufgebracht. »Wegen der runtergelassenen Rollläden war es stockdunkel in der Wohnung. Und ich dachte, es sei ein gottverdammter Einbrecher, verstehst du?«
    »Und was nun?«
    »Du musst mir helfen. Wir müssen ihn wegschaffen!«
    »Wir? Um Gottes willen, wieso das denn?«, antwortete Georg. »Der Regen hat bereits die Salatschösslinge zerstört.«
    »Du setzt dich jetzt in dein Auto und kommst rüber, verstanden!«, sagte sein Vater und legte auf.
    Was sollte er machen? Georg griff sich die Regenjacke und den Autoschlüssel. Es regnete so stark, dass die Scheibenwischer selbst auf der höchsten Stufe Mühe hatten, die Wassermassen von der Windschutzscheibe zu schaffen.

    »Ich bin etwas früher als geplant zurückgekommen, und da habe ich ihn wohl überrascht«, sagte sein Vater und strich sich dabei ein paar Mal verlegen übers Haar.
    Georg starrte auf die reglos am Boden liegende Gestalt. Wie ein Schwimmer, der abrupt innehält, lag der Typ da. Einen Arm nach hinten gebogen, den anderen rechts vom Kopf nach vorn gelegt. Das linke Bein war ebenfalls ausgestreckt, das rechte angewinkelt.
    |127| »Fehlt etwas?«, fragte Georg, um irgendetwas zu sagen, und sah sich prüfend im Raum um. Sein Vater hatte die kleine Wandleuchte über dem Fernseher eingeschaltet, sodass sämtliche Gegenstände gut zu erkennen waren: die Essecke links, die er dort eingerichtet hatte, nachdem er die Trennwand hatte herausnehmen lassen, der

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