Leichtes Beben
in sich auf. Da angelte Kapaun nach dem Kopfkissen, bekam es zu fassen und drückte es ihr aufs Gesicht. Zunächst leicht, dann immer fester. Bis sie unter ihm zu strampeln und mit den Armen zu rudern begann und er das Kissen wegnahm und sie ihn mit gerötetem Gesicht anstarrte und zu seiner Verwunderung erregt keuchte: »Weiter, mach weiter! Hätte nicht gedacht, dass du so drauf bist? Ich meine
so!
«
»Du bist doch genau
so
«, antwortete er und dachte: Ich bin jetzt neununddreißig Jahre alt, und das ist das absolut Schärfste, was ich jemals mit einer Frau erlebt habe. Und dann griff er nach dem Kissen und drückte es ihr wieder aufs Gesicht. So fest er konnte.
|176| Siebzehn
Hoffmann trat in das Halbdunkel des Restaurants, machte einen Schritt und hielt inne, weil seine Augen sich langsamer als erwartet auf das Zwielicht einstellten.
Auf dem kleinen, an der Eingangstür angebrachten Schild hatte er gelesen: SMILING FISH. Japanisches Restaurant. Täglich geöffnet von 12 bis 24 Uhr. Durchgehend warme Küche. Obwohl er bereits häufiger hergekommen war, um Chanko-nabe, ein schmackhaftes japanisches Eintopfgericht, oder Kushiage, an Bambusspießen serviertes, paniertes und anschließend frittiertes Fleisch und Gemüse, zu essen, zu dem er jeweils den nussig schmeckenden Namazake trank, war ihm das Schild noch nie aufgefallen.
Er warf einen Blick auf seine Uhr. Sie zeigte neunzehn Minuten nach zwölf. Trotzdem war er der einzige Gast.
Hoffmann spielte mit dem Gedanken, kehrtzumachen und später, wenn er sicher sein konnte, dass mehr Betrieb war, noch einmal wiederzukommen. So allein fühlte er sich, als stünde er auf einer schlecht beleuchteten |177| Theaterbühne, schutzlos und ausgestellt. Doch im selben Moment sprangen die an den hellen, mit japanischen Schriftzeichen verzierten Wänden angebrachten Lüster an, die Beleuchtung des imposanten, seitlich an der Wand stehenden Aquariums flammte auf und riss die eben noch im Dunkel verborgenen und jetzt buntschillernden Zierfische aus der Schwärze. Der Raum erstrahlte nun in taghellem Licht, als habe man ruckartig einen schweren dunklen Vorhang beiseitegezogen.
Zum Umkehren war es jetzt zu spät. Mit einem Lächeln auf den dünnen, zartrosa geschminkten Lippen trat ihm Fräulein Ogata entgegen.
»Guten Tag!«, sagte sie, und streckte Hoffmann in leicht vorgebeugter Haltung ihre zierliche Hand hin.
Gemeinsam mit Herrn Nishi, ihrem schätzungsweise sechzigjährigen Tokioter Onkel, führte sie seit einigen Monaten das kleine Restaurant. Das hatte Fräulein Ogata Hoffmann in einem ihrer ersten Gespräche anvertraut und dabei auf eine kindliche Art und Weise gelächelt. Und sosehr Hoffmann inzwischen Gefallen gefunden hatte an den mit Oktopus gefüllten Omelettbällchen, dem frittierten Huhn oder den Rollen aus Seetang, war es vor allem anderen dieses zarte, nun erwartungsvoll vor ihm stehende Geschöpf, das ihn seit einiger Zeit regelmäßig hierhertrieb.
»Nehmen Sie Platz!«, sagte Fräulein Ogata, die seine Unsicherheit offenbar bemerkt hatte, und wies auf einen Tisch neben dem Aquarium.
»Ja, gerne«, sagte Hoffmann und schob sich vorsichtig |178| an ihr vorbei. Und da war er wieder, dieser frische, an süßlich herben Sommerflieder erinnernde Duft.
Hoffmann war überrascht gewesen, als er ihn das erste Mal wahrgenommen hatte. Denn eigentlich hatte er geglaubt, Japanerinnen würden anders riechen. Weniger europäisch. Nach Orchideen vielleicht. Oder nach Zitronengras.
Nachdem er das letzte Mal hier gewesen war und Gyoza, mit Fleisch gefüllte Teigtaschen, gegessen und anschließend diverse Okashis, japanische Süßigkeiten, probiert hatte, war er, betäubt vom Namazake und Fräulein Ogatas Geruch, aus dem Lokal getaumelt und zu Hause, von erotischen Phantasien erfüllt, schläfrig auf die Wohnzimmercouch gesunken.
Weil er seit ein paar Wochen eine neue Mieterin hatte, eine Berufsmusikerin, die es sich bald nach ihrem Einzug zur Gewohnheit gemacht hatte, nachmittags auf ihrem Cello zu üben, waren seine Gedanken von dessen schweren, gedämpft zu ihm herunterdringenden Klängen untermalt worden.
Jetzt hielt ihm Fräulein Ogata lächelnd die Speisekarte hin. Dabei fiel sein Blick auf ihre feingliedrigen Finger, kleine, wie aus weißem Porzellan gefertigte Gebilde, nach denen er am liebsten auf der Stelle gegriffen hätte.
Keinen Meter von ihm entfernt vollführten die buntleuchtenden Fische in der blauschimmernden Enge des Aquariums ihre immergleichen
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