Leichtes Beben
seine Hand. Und plötzlich verschmolzen ihre Züge und das Bild, das er von Chris hatte, sekundenlang miteinander.
»Nur einmal, bitte!«, sagte sie.
Da griff er, so als hätte er seine Hand nicht kurz zuvor zurückgezogen, nach der ihren, drückte sie und sagte mit geschlossenen Augen: »Chris! O Chris!«
Bereits im nächsten Augenblick aber ließ er ihre Hand wieder los und stammelte verlegen: »Entschuldigen Sie bitte, ich weiß gar nicht, was über mich gekommen ist.«
Zu seiner Verwunderung sah sie ihn ganz ruhig an und sagte: »Das war sehr schön.«
|169| Als er zwanzig Minuten später die Tür des Hotelzimmers aufschloss, das er in aller Eile um die Ecke gemietet hatte, und sie auf das mit einer spröden rosafarbenen Tagesdecke überzogene Bett sanken, da hatte Bronnen wie schon am Morgen in der Straßenbahn das irritierende Gefühl, sich durch einen Traum zu bewegen. Einen Traum, der auch dann noch andauerte, als sie sich eng umschlungen hin und her wälzten und sie mit ihrem Mund nach seinem schnappte.
Als ihr Körper sich dann irgendwann ein paar Mal unter ihm aufbäumte, da hauchte er in die Stille des Zimmers, in das von fern das Kreischen der Straßenbahnen heraufdrang: »Chris, Chris, Chris!« Wieder und wieder bedeckte er ihr erhitztes Gesicht mit Küssen.
Hinterher lagen sie im Halbdunkel des kleinen Zimmers erschöpft beieinander, und sie schmiegte wortlos ihren Kopf an seine schweißnasse Brust, sodass Bronnen bei jedem Atemzug dessen Gewicht auf seinen Lungen spürte.
Er musste kurz an den amputierten Sprinter aus der Zeitung denken, der sein Schicksal bezwungen hatte. Dann strich er ihr mit der flachen Hand zärtlich über den Kopf. Bis er irgendwann sagte:»Erzähl mir von ihr. Erzähl mir von der neuen Chris.«
|170| Sechzehn
Als der neunundreißigjährige Johan Kapaun mit diesem zweiundzwanzigjährigen Mädchen namens Jill im Bett lag, erzählte er die ganze Geschichte. Er hatte plötzlich Lust, darüber zu reden.
Sie lagen nackt unter dem dünnen Laken, eng aneinandergeschmiegt. Zum halb geöffneten Fenster drang die warme Nachtluft herein und spielte in den Vorhängen. Im schwachen Schein der Nachttischlampe schwirrte seit ein paar Minuten eine Motte. Ihr Schatten tanzte in wildem Zickzack über die gegenüberliegende weiße Wand. Ein paar Mal knallte das Insekt gegen die Glühbirne und fiel auf die Nachttischplatte, rappelte sich wieder auf und entschwand schließlich in einer weitausholenden Neunzig-Grad-Kurve durchs offene Fenster in die von Millionen Sternen erfüllte Mainacht.
Kapaun hielt das Mädchen im Arm. Sie hatten, bevor sie sich liebten, geraucht und Tequila getrunken. Jill löste sich für einen Moment aus seiner Umarmung, fuhr ihren rechten Arm aus und packte ihr fast leeres Tequilaglas.
|171| Johan hatte Jill in der Kantine kennengelernt, wo sie mittags, mit einem weißen Kittel bekleidet, hinter einem Büfett stand und Mahlzeiten ausgab. Eine schlaksige, auffallend große Brünette mit schulterlangem, leicht nach außen gewelltem Haar, die in ihrer Freizeit Cowboystiefel und eng sitzende, langärmlige T-Shirts trug. Wenn sie neben ihm stand, überragte sie Kapaun um gut zehn Zentimeter. Und das gefiel ihm.
Kapaun war einer von den drei Kaufhausdetektiven, die sich tagaus, tagein unauffällig unter die Kunden mischten, um zur Stelle zu sein, wenn in der Kosmetikabteilung jemand eine teure Hautcreme stahl, in der Lederwarenabteilung ein Paar Kalbslederhandschuhe entwendet wurden oder jemand auch nur eine Packung rotblauer, mit Stars & Stripes verzierter Pappbecher mitgehen ließ.
Sie waren im Kino gewesen und hatten anschließend in einer Bar noch etwas getrunken. Hinterher waren sie beschwipst ins Auto gestiegen, und Kapaun hatte aus Übermut ein paar Mal das Lenkrad ruckartig hin und her gerissen und war auf freier Strecke Schlangenlinien gefahren. Bis vor ihnen der grellweiße Lichtkegel eines Fernlichts aus der Schwärze aufgetaucht war und er den Wagen auf seine Spur zurückzog.
In seiner Wohnung angekommen, hatte er den Tequila aus dem Eisschrank geholt, und Jill war kurz im Bad verschwunden. Als sie wieder herauskam, trug sie nur noch ihren Slip und den BH, eine lachsfarbene Kombination auf sonnengebräunter Haut. Kapaun |172| konnte nur staunen über die makellose Form und Länge ihrer Beine.
Später, als er zwischen ihren Schenkeln lag und sie ihre Beine um seine Hüften schlang und ihn mit Stößen ihrer Fersen gegen seinen Po antrieb, da hatte er
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