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Leiden sollst du

Leiden sollst du

Titel: Leiden sollst du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Wulff
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ihn anzuschauen. „Ich geh alleine baden.“
    „Es ist Tomasz“, beeilte er sich zu sagen, als müsste er sich rechtfertigen. Morgen früh um zehn Uhr in Chorweiler, schrieb er.
    Unsicher folgte Daniel Marie, doch das bekam sie nicht mit, denn sie warf die Tür hinter sich ins Schloss, ohne sich umzudrehen.
    Zähneknirschend blieb er eine Weile vor dem Badezimmer stehen, doch er konnte sich nicht dazu überwinden, hineinzufahren. Allein die Vorstellung, wie ungelenk er sich in die Wanne fallen lassen würde, war ihm so peinlich, dass keine romantischen Gefühle möglich waren.
    Schlecht gelaunt schob er seine Krüppel-Harley in die Küche, um sich ein Kölsch aus dem Kühlschrank zu holen und in Gedanken noch einmal die Theorien, die er mit Tom und Marie diskutiert hatte, durchzugehen. Sein Kopf war das Einzige an ihm, was noch bestens funktionierte. Aber wenn er nicht zurück in seinen alten Job kehrte, würde auch dieser Teil von ihm bald verkümmern.
     
    Pünktlich um zehn Uhr morgens wartete Daniel vor dem Hochhaus mit der traurigen Fassade, in dem Familie Kranich zehn Kilometer vom Stadtzentrum wohnte. Der Putz war schmutzig grau und strahlte Kälte und Lieblosigkeit aus. Eigentlich waren es vier Häuser, die aneinandergebaut worden waren. Ihre Eingänge zeigten jeweils in eine Himmelsrichtung.
    Wie viele Mietparteien mochten in dem Block wohnen? Vierzig? Das war ja eine eigene kleine Gemeinde innerhalb Chorweilers. Es war unschwer zu erraten, dass die Arbeitslosigkeit hier hoch war. Niemand, der genug Geld verdiente, würde freiwillig im Ghetto leben.
    Tomasz kam wenige Minuten nach ihm an. Da er keinen Parkplatz in der Nähe fand, parkte er halb auf dem Bürgersteig und brachte das „Kriminalpolizei im Einsatz“-Schild hinter der Windschutzscheibe seines Dienstwagens an.
    „Ob das so eine gute Idee ist?“, begrüßte ihn Daniel.
    Breitbeinig, wie es seine Art war, blieb Tom vor ihm stehen. „Ich bin risikofreudig.“ Er roch nach Rauch. Es konnte nicht lange her sein, dass er sich eine Zigarette angesteckt hatte.
    Daniel wunderte sich, dass Toms Zähne trotzdem strahlend weiß waren. „Seit wann das?“
    „Schließlich lasse ich dich auch bei Ermittlungen anwesend sein.“
    Murrend legte Daniel seine Hände an seine Greifringe. „Ja, ja, erinnere mich nur daran, dass ich nicht mehr zum Team gehöre.“
    „Heute schon.“ Tomasz gab ihm einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter und ging voran zum Eingang. „Halte dich nur ein wenig mit deinem Sarkasmus zurück. Sollten die Kranichs im Präsidium anrufen und nachfragen, wer denn der komische Kauz mit dem Krankenkassen-Chopper war, der diese unverschämte Fragen gestellt hat, werde ich einen Kopf kürzer gemacht, nicht du.“
    „Einverstanden, dann spielst du eben ausnahmsweise mal den bösen Cop. Wird dir nicht schwerfallen.“
    „Aber dir, den guten zu mimen.“ Die Tür wurde aufgedrückt. Grinsend hielt Tom ihm den Eingang auf.
    Daniel tat so, als würde er Tomasz in die Beine fahren, bremste aber rechtzeitig und lenkte seinen Bock stattdessen an ihm vorbei ins Gebäude hinein. Auf einer der unteren Stufen der Kellertreppe lag etwas, das eine benutzte Damenbinde sein mochte, aber Daniel sah nicht lange genug hin, um sicher zu sein. Die Wände waren mit obszönen Sprüchen übersät und im Stockwerk über ihnen stritten sich zwei Frauen so laut, dass es durch das ganze Treppenhaus schallte. Dies war kein guter Ort für Kinder. Er wunderte sich, dass Benjamin und Marie gemeint hatten, Julia sei ein richtiger Sonnenschein gewesen: immer ein Lächeln auf den Lippen, ein hübsches natürliches Erscheinungsbild, eher sportlich bequem gekleidet, zurückhaltend, höflich und smart. Auf jeden Fall nicht heruntergekommen und desillusioniert wie dieser Ort. Aber warum hatte sie sich dann heimlich aufreizend angezogen? Das schien so gar nicht zu ihrem Charakter zu passen. Hatte die Gegend, in der sie aufgewachsen war, sie am Ende doch ins Verderben gezogen?
    Gemeinsam stiegen Daniel und Tomasz in den Aufzug ein.
    „Erzähl mir etwas über die Familie Kranich.“ Daniel schaute auf die Etagenknöpfe und erinnerte sich, dass er diese Perspektive von unten das letzte Mal als Kind gehabt hatte. An die obersten zwei hätte er nur mithilfe der Stabtaschenlampe, die er seit der Durchsuchung der Volksküche immer in der Armlehnentasche seines Rollis trug, heranreichen können. Frustrierend!
    „Horst, Julias Vater, hat früher mal auf dem Bau gearbeitet,

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