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Leiden sollst du

Leiden sollst du

Titel: Leiden sollst du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Wulff
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absichtlich.“
    „Inzwischen überwuchert die Natur alles noch mehr. Da man keinen Hinweis auf ein Verbrechen oder Julias Verbleib fand, wurde der Fall auf Eis gelegt und man ging davon aus, dass das Mädchen durchgebrannt war. Ihre Eltern sind nicht von der Sorte, die ein warmes Nest bauen.“
    „Habt ihr sie noch einmal verhört?“
    „Ihren Vater und Julias Bruder Markus. Beide verhalten sich nicht gerade kooperativ. Ehrlich gesagt, haben wir kaum etwas aus ihnen herausgekriegt.“ Tomasz öffnete die oberste Schublade seines Schreibtisches, holte eine Akte heraus und reichte sie ihm. „Uns fehlt jemand mit dem richtigen Fingerspitzengefühl, wie du es hast.“
    „Speichellecker.“ Mit jeder Minute, die er im Kriminalkommissariat verbrachte, spürte Daniel, wie seine Lebensgeister mehr erwachten. „Habt ihr schon einen oder mehrere Verdächtige?“
    „Leider nicht, aber dass der Täter in ihrem Umfeld zu finden ist, steht außer Frage.“ Tomasz neigte sich vor und tippte mit dem Finger auf den Aktendeckel. „Schau dir die Fotos von Julias Leiche an, und du weißt, warum. Aber ich will dich warnen, sie sind harter Tobak.“
     

8
     
    Bilder von Misshandlungen oder Leichen zu betrachten wurde trotz seiner Erfahrung nicht leichter. Noch immer zog sich alles in Daniel bei den ersten zwei, drei Fotos unangenehm zusammen, danach ging es schon etwas besser. Aber daran gewöhnen würde er sich nie!
    Bei den Aufnahmen von Julias Leichnam war es sogar noch schlimmer. Galle stieg in seinen Rachen auf. Er schmeckte sie bitter auf seiner Zunge. Wie Essig brannte sie auf seinen Schleimhäuten. Diese heftige Reaktion lag nicht nur daran, dass ihm durch seine Zwangspause der grausame Anblick dieser Art längere Zeit erspart geblieben war, sondern auch daran, dass Benjamin das Mädchen gekannt und gemocht hatte.
    Außerdem hatte ihr Körper viele Monate im Rhein gelegen, war aufgequollen und hatte sich in Adipocire umgewandelt. Julia Kranich war nur noch eine wächserne Masse. Nur anhand ihrer Zähne und eines DNA-Abgleichs konnte ihre Identität festgestellt werden. Ihre aufgedunsenen Gesichtszüge waren grotesk entstellt, konserviert durch das Leichenlipid. Schleifspuren an Stirn, Hand- und Fußrücken sowie den Knien waren vage zu erkennen. Sie stammten vom strömungsbedingten Treiben über den Flussgrund. Die Nasenspitze fehlte.
    Daniel konnte förmlich den Geruch von feuchtem, verseiftem Fleisch riechen. Er war bei ihrer Bergung nicht dabei gewesen, konnte sich aber lebhaft an andere Wasserleichen erinnern. Vor seinem geistigen Auge sah er, wie sie vorsichtig aus dem Wasser geborgen und in ein Behältnis der Rechtsmedizin gelegt wurde. Er hörte dieses Geräusch, das man normalerweise nicht mit einem Menschen in Verbindung brachte, als hätte man keine Leiche, sondern ein nasses Handtuch auf das Ufer gelegt.
    Die vollkommene Umwandlung ihres Körpers in Fettwachs legte nahe, dass die Leiche des Mädchens die vielen Monate unter Wasser gelegen haben musste, da dieser Prozess nur unter Luftabschluss stattfand.
    Sie ist die ganze Zeit tot gewesen , dachte Daniel. War das nun gut oder schlecht? Sie hätte mit jemandem durchgebrannt sein und irgendwo ein schönes Leben führen können, aber genauso gut hätte sie in einem Keller gefangen und unzählige Male missbraucht worden sein. Er spürte dennoch keine Erleichterung.
    Aber nicht das Leichenlipid schockierte ihn, nicht nur ihre Nacktheit, die entwürdigend war, sondern auch die Hinweise auf Folter, die die Gerichtsmedizin festgestellt hatte.
    Verletzungen der Körperhülle konnte man aufgrund des Leichenlipids nicht mehr feststellen, aber die subkutanen Blutungen auf Julias Rücken waren nicht nur sehr breit gefächert, sondern reichten vor allem so tief, dass diese sogenannte Sugillation noch nachgewiesen werden konnte. Für Daniel war diese Tatsache schockierend! „Jemand hat seiner Wut ... oder seiner perversen Lust freien Lauf gelassen und sie blutig geschlagen.“
    „Jetzt verstehst du, was ich meine.“ Tomasz stand auf, verließ kurz den Raum und kehrte mit zwei Gläsern und einer Flasche Mineralwasser zurück.
    Daniel atmete flach, als er die Fotos weglegte und stattdessen den Bericht des Instituts für Rechtsmedizin im Universitätsklinikum nahm.
    Nachdem der Obduzent das Skelett freigelegt hatte, waren ihm punktuelle Einkerbungen an Julias Schambein aufgefallen. Ihr Geschlecht musste mit einem spitzen Gegenstand brutal traktiert worden sein. „Die Tat

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