Leiden sollst du
hat eindeutig einen sexuellen Hintergrund.“
Während Tomasz ihre Gläser mit Wasser füllte, sagte er: „Todesursache war stumpfe Gewalteinwirkung.“
Daniel las den Obduktionsbericht zu Ende. Bei der Sektion wurde eine Fraktur am Hinterkopf festgestellt. „Höchstwahrscheinlich hat der Täter das Mädchen erschlagen.“ Um seinen Übergriff zu vertuschen? War die Tötung von vorneherein geplant, gehörte sie vielleicht sogar zum Lusterlebnis dazu und konnte er ohne sie nicht zum Höhepunkt kommen? Oder nahm der Hass während der Folter so stark zu, dass der Mörder in einen Rausch verfiel und sich nicht mehr bremsen konnte?
Neunzig Prozent der Verbrechen sind Beziehungstaten. Ein Fremder, der auf der Party ein Auge auf Julia geworfen hatte, hätte sie von der Feier weggelockt, um sie zu quälen und umzubringen. Wahrscheinlicher war, dass sie dort einen Bekannten traf. Sie konnten sich gestritten haben und da ist er ausgerastet. „Hatte Julia Feinde?“
„Nein, sie war eher ein unauffälliges Mädchen und hielt sich stets im Hintergrund auf.“
Stille Wasser sind tief, fiel Daniel dazu ein. Benjamin gehörte auch eher zu den ruhigen Teenagern, aber er hatte ihn schon beim Kiffen erwischt. Vielleicht war Julias Weste nicht so weiß, wie sie erschien. „Gab es Probleme zu Hause?“
„Nicht mehr oder weniger als bei anderen Teenagern.“ Tomasz reichte ihm ein Glas. „Als man ihre Leiche fand, trug sie einen Minirock. Ihr Vater sagte aus, dass sie eine Jeans anhatte, als sie das Haus verließ, um zu der Feier zu gehen.“
„Sie muss sich umgezogen haben. Um sexy auszusehen. Das hat Daddy nicht erlaubt, also hat sie es heimlich gemacht.“ Einen Moment lang musste Daniel an seine eigene verkorkste Kindheit denken. Eigentlich war es verwunderlich, dass aus ihm etwas geworden war. Er hatte sich, nach all der Scheiße, die ihm widerfahren war, seinen Platz im Leben hart erarbeitet. Die Erkenntnis, dass er das, was er erreicht hatte, nicht hergeben wollte, nur weil er im Rollstuhl saß, traf ihn unvermittelt. „Hatte sie einen Freund? Schlief sie mit jemandem?“
„Wenn ja, dann hat sie es verheimlicht. Sie war jedenfalls keine Jungfrau mehr.“ Als sich Tom in seinen Bürostuhl setzte, knarzte er. „Was ist mit Benjamin?“
Daniel, der gerade trinken wollte, hielt inne. „Ihr habt ihn doch verhört.“
„Er hat kaum den Mund aufgemacht, das sagte ich doch schon beim letzten Treffen.“
Daniel verspürte den Drang, Ben zu verteidigen, weil er zur Familie gehörte. Es fiel ihm schwer, seine persönlichen Gefühle beiseitezuschieben und professionell zu denken. „Ich glaube nicht, dass zwischen den beiden etwas lief. Ben ist schüchtern, was Mädchen betrifft. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass er mal eine feste Freundin gehabt hatte. Mit nach Hause brachte er Julia jedenfalls nie, das hätte seine Mutter freudig herumposaunt.“
Tomasz sprach jedes Wort seiner Theorie langsam und vorsichtig aus: „Vielleicht wollte er ihr näherkommen, traute sich das erste Mal, ihr seine Gefühle zu zeigen, und sie lachte ihn aus, sodass er austickte.“
„Ben ist ein Spätzünder. Mädchen interessieren ihn genauso wenig wie den Führerschein zu machen. Beides wird schon noch kommen, da bin ich mir sicher, aber seit Julia verschwand, ist er völlig neben der Spur. Ihr Tod nimmt ihn sehr mit. Er ist sehr sensibel! Jemand, der sie derart zugerichtet hat, muss abgebrüht und kaltherzig sein.“ Oder auf dem Weg des Erwachsenwerdens eine neue Seite an sich entdeckt haben , aber diesen schrecklichen Gedanken behielt Daniel lieber für sich.
In seinem Hinterkopf meldete sich eine weitere Option. War es möglich, dass Benjamin auf der Party härtere Drogen ausprobiert und Julia im Rausch getötet hatte, weil er albtraumhaft halluzinierte und sie für eine Bedrohung, ein Monster, hielt?
Sein Entsetzen wuchs mit jedem neuen Abschnitt des Obduktionsberichts. Plötzlich stieß er auf ein ungeheuerliches Detail.
Aufgekratzt suchte er das dazugehörige Beweisfoto heraus. Sein Sodbrennen wurde so unerträglich, dass er sein Wasserglas in einem Zug leerte. Fassungslos betrachtete er die aufgeschnittenen wächsernen Gesäßhälften von Julias Leiche, die der Rechtsmediziner abgelichtet hatte, um ihre Misshandlung zu dokumentieren. In ihrem Enddarm waren Scherben zu erkennen. „Julia wurde nicht nur geschlagen, sondern auch vergewaltigt?“
„Am Schambein haben die Kollegen in der Uni keine Hämatome festgestellt,
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