Leidenschaft der Nacht - 4
Reign.
Sie hob eine Hand, um ihn zur Ruhe zu ermahnen. Und dann vernahm sie es: das schwache Schlagen eines menschlichen Herzens.
Olivia stürmte aus der Kirchenbank und auf das Geräusch zu. Es kam von hinter der Kanzel. Sicher kauerte der Feigling dort in der Hoffnung, sie würde die Warnung lesen und verschwinden! Reign war dicht hinter ihr und keine Sekunde später als sie ganz vorn in der Kirche.
Doch hinter der Kanzel fanden sie nicht den jungen Priester. Es war Pater Abberley, jener ältere Priester, der in der Nacht zuvor so freundlich zu Olivia gewesen war. Und er kauerte nicht, sondern er lag auf dem Boden, sein Kopf in einer Blutlache.
Kapitel 4
Denkst du, er wird sich wieder erholen?«, fragte Olivia, als sie durch die kleinen Balkontüren in ihre Suite gingen.
Reign strich sich den Gehrock glatt. »Ich hoffe. Der Arzt schien recht zuversichtlich.« Leider hatte der Doktor ziemlich glasige Augen gehabt, was darauf hindeutete, dass er sich häufiger an seinem Laudanumvorrat oder einer ähnlich starken Droge vergriff. Reign persönlich wäre überrascht, sollte der alte Priester den nächsten Morgen erleben, der sehr schnell nahte.
»Manchmal lügen Ärzte.« Sie zog die Tür zu. Nein, Olivia war nicht dumm.
»Vielleicht hat er gelogen. Da war so viel Blut.«
Sie fühlte sich verantwortlich. Deshalb das ganze Theater um den Priester. »Er hat einen Schlag auf den Kopf bekommen, Liv. Solche Wunden bluten immer stark.«
Reign fügte nicht hinzu, dass die Platzwunde bedenklich groß gewesen war. In seiner eigenen gewalttätigen Vergangenheit hatte er zahlreiche Wunden wie diese gesehen, und er hegte keinerlei Zweifel, dass demjenigen, der den Priester angegriffen hatte, gleich war, ob der alte Mann überlebte oder nicht. Vielmehr vermutete Reign, dass der Schlag sogar tödlich gemeint war, was ihn zutiefst beunruhigte.
»Willst du mir verraten, was passiert ist?« Auch wenn sie unglücklich war oder sich zumindest den Anschein gab, war ihm wichtiger, warum der alte Mann angegriffen worden war und welche Rolle Olivia dabei spielte. Sie hatte den Priester erkannt, ihn mit Namen angeredet. Gott sei Dank bin ich ihr gefolgt, dachte er, sonst hätte sie den Mann noch allein ins Krankenhaus geschleppt. Und wäre das nicht erstaunlich gewesen: eine Frau, die einen erwachsenen Mann wie ein Kind in den Armen trug?
Sie drehte sich zu ihm. »Du bist mir gefolgt, nicht wahr? Du warst der Reiter.«
Er nickte. Leugnen war sinnlos, und entschuldigen würde er sich erst recht nicht. Er wäre ein Idiot gewesen, ihr nicht zu folgen. Er ärgerte sich lediglich, dass er sich nicht geschickter angestellt hatte. Olivia führte etwas im Schilde, etwas, bei dem sie ihn brauchte, und er hatte nicht sechshundert Jahre überlebt, ohne alles über seine Feinde in Erfahrung zu bringen.
ja, Olivia war seine Feindin, ob es ihm gefiel oder nicht. Bis sie wieder in sein Bett und sein Leben zurückkehrte, bis sie ihm vertraute und bewies, dass er ihr vertrauen konnte, würde er sie genau so behandeln. Soweit er bisher wusste, könnte sie vorhaben, ihn zu töten, und diesmal hatte sie eventuell mehr Glück als vor dreißig Jahren.
Er warf ihr nicht vor, dass sie ihn verachtete. Teufel auch, er verdiente es!
Trotzdem würde er ihr die Rache nicht unnötig leichtmachen. Und was seine Entscheidung betraf, ihr zu helfen … nun, das war kompliziert. Er schuldete ihr Wiedergutmachung in irgendeiner Form. Das sagte er sich immerfort, wenn er sich fragte, warum er zugestimmt hatte. Es fühlte sich ungleich besser an, als zu glauben, sie besäße Macht über ihn.
Daran wollte er gar nicht denken. »Wie konnten die Entführer dich bis St. Martin’s verfolgen?«
»Ich war letzte Nacht dort«, antwortete sie. Sie massierte sich die Stirn, während sie im Zimmer auf und ab ging. »Daher kenne ich Pater Abberley. Als ich heute Nacht hinkam, war ein anderer dort. Inzwischen glaube ich allerdings, dass er gar kein Priester war.«
»Warum nicht?«
Sie blieb stehen. »Er hat mir gesagt, wo ich mich hinsetzen soll. Und in der Bank fand ich dies hier in einem Gebetbuch.«
Reign nahm den zerknüllten blutverschmierten Zettel, den sie ihm reichte, und las ihn. Falls er noch Zweifel am Ernst ihrer Lage gehabt hatte, waren sie nun endgültig ausgelöscht. Er gab ihr die Nachricht zurück. »Wir finden ihn, Liv! «
In ihrem Gesicht spiegelten sich Verwirrung, Erleichterung und Staunen zugleich.
»Warum hilfst du mir?«
Nach all der Mühe, die
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