Leidenschaft der Nacht - 4
war.
»Falls sie dich beobachten, sind sie nicht ganz sicher, dass du tun wirst, was sie verlangen.« Es bedeutete überdies, dass sie von ihm wussten, wenn auch vielleicht nicht, was er war. Dennoch musste er auf der Hut sein. Er rieb an einem Flecken getrockneten Bluts auf seinem Handrücken. Es stammte von dem Priester, und dass es sich nicht abreiben ließ, ärgerte Reign. Schließlich leckte er es ab. »Das könnte vorteilhaft für uns sein.«
»Wie das?«, fragte sie und sah ihn vorwurfsvoll an, weil er sich das Priesterblut ableckte. »Wie kann ich James retten, wenn sie jeden meiner Schritte überwachen?«
Reign wischte sich den Handrücken an seiner Hose trocken. Es war ein Wunder, dass er nicht vollständig besudelt war, so wie der Priester geblutet hatte. »Wer das Verhalten des Feindes nicht vorhersehen kann, hat Angst. Sie haben Angst vor dir, Olivia.«
Das tat sie mit einem verächtlichen Laut ab. »Sie wissen, dass ich alles mache, was sie wollen, um James zu befreien.«
»Ja, sie wissen, dass du alles tust, um James zu befreien. Das macht ihnen Angst.«
Es sollte ihm auch Angst machen, aber seine eigene Sicherheit scherte ihn schon lange nicht mehr. Seit ungefähr dreißig Jahren, um genau zu sein.
Ihrem trägen Nicken nach zu urteilen, glaubte sie ihm nicht. Und er konnte sie auch nicht überzeugen. Olivia würde sich eher selbst die Kehle aufschneiden, als zuzugeben, dass er etwas besser wusste als sie.
»Bald wird es Morgen«, erinnerte sie ihn überflüssigerweise. »Du solltest gehen.«
Reign lachte - ein kurzes abgehacktes Lachen. »Tu nicht so, als würdest du dich um mich sorgen, Liv! Sag mir einfach, dass ich verschwinden soll.«
Ein sehr zartes Lächeln umspielte ihre Lippen, auch wenn sie traurig, müde und - das war das Schlimmste - resigniert aussah. »Verschwinde!«
»Das ist mein Mädchen.« Er grinste weiter, als ihr Lächeln schwand. Immerhin widersprach sie ihm nicht. Wahrscheinlich war ihr bewusst, dass sie keinen Einfluss darauf hatte, wie er von ihr dachte. »Ich komme morgen Abend wieder. Dann können wir zusammen jagen.« Eigentlich war es bloß ein Vorwand, um mit ihr zusammen zu sein, denn so konnte er sie im Auge behalten.
»Jagen?« Hochmütig lüpfte sie eine dunkle Braue. »Sind Menschen jetzt Beute?«
Er ging rückwärts zur Zimmertür, weil er noch nicht bereit war, ihr den Rücken zuzukehren. »Das waren sie immer, Liebling. Und sie werden es immer sein. Deshalb ernähre ich mich stets von Fremden.«
Ihre Züge verfinsterten sich. »Nicht immer.«
Das Unwetter, das sich in ihrem Blick zusammenbraute, wäre zum Lachen gewesen, hätte er den Schmerz dahinter nicht so deutlich wahrgenommen. Doch er konnte einfach nicht umhin, sie zu provozieren. »Zu jeder Regel gibt es eine Ausnahme.«
»Ist es das, was ich war?« Sie stemmte die Hände in ihre Hüften - die universelle Haltung der empörten Frau. »Eine Ausnahme von deiner Regel?«
»Du bist meine Frau«, bemerkte er und gestatte sich endlich das Lächeln, während er die Tür öffnete. »Da gelten keine Regeln.«
Zungenfertiger, hinterhältiger, selbstgerechter Mistkerl!
Eines, was Olivia an Reign nie hatte leiden können - und leider war es so ziemlich das Einzige, was sie an ihm nicht mochte -, war die Art, wie er sie reizte, sie provozierte, bis ihr Zorn sein hässliches Haupt reckte. Er nannte es Necken. Sie nannte es Qual, was ihn jedoch nicht aufhielt. Er schien es zu genießen, sie wütend zu machen, woran dreißig Jahre und ein Attentatversuch offenbar nichts geändert hatten.
So benahm er sich nur gegenüber Menschen, die er gern hatte. Menschen, die er liebte. Und dass er es weiterhin bei ihr tat, war noch ärgerlicher als sein Verhalten an sich. Warum konnte er sie nicht hassen? Sie hatte keine Mühe gehabt, ihn zu hassen.
Nun gut, ein bisschen wohl doch, denn sonst hätte sie kein schlechtes Gewissen, weil sie ihn nach Schottland lockte, wo weiß Gott welche Gefahren auf ihn warteten.
Reign würde überleben. Das tat er immer. Wenn sie, eine unglaublich zornige Vampirin, ihm nichts anhaben konnte, welche Chance hatten da ein paar Menschen?
James hingegen war nicht annähernd so widerstandsfähig. James und seine Sicherheit waren alles, was zählte, mehr als Olivias und mehr als Reigns Leben. Sie beide hatten bereits ein langes Leben gehabt. Verdammt, Reign hatte schon ein Dutzend gehabt! James verdiente, wenigstens eines zu bekommen. Wäre Olivia nicht außerstande gewesen, tagsüber
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