Leidenschaft der Nacht - 4
hereinfiel, sah sie jünger aus - viel zu jung in einer Nacht, in der er selbst sich älter als die Hölle vorkam.
Schon lange hatte er sich nicht mehr jung gefühlt; seit dem Tag ihrer Vermählung, um genau zu sein.
Ungefähr einen Monat vor der Hochzeit hatte er ihr die Wahrheit über sich enthüllt.
Es wäre ihr gegenüber nicht fair gewesen, länger zu warten, und Liebe hatte das brennende Verlangen in ihm geweckt, vollkommen ehrlich zu seiner künftigen Braut zu sein.
Zuerst hatte sie geglaubt, dass er scherzte. Dann warf sie ihm vor, auf grausame Weise die Verlobung lösen zu wollen. Er musste ihr seine Reißzähne zeigen, damit sie endlich überzeugt war. Fast zehn Minuten brauchte sie, bevor sie ihre Finger in seinen Mund steckte, um die Vampirzähne zu betasten, und ihn fragte, was er alles konnte.
Vor lauter Erleichterung war ihm geradezu schwindlig geworden. Und dann hatte sie ihn umarmt.
»Wofür war das?«, hatte er gefragt.
Mit großen braunen Augen sah sie ihn an. »Dafür, dass du so lange allein warst und dass du mir die Wahrheit anvertraut hast.«
In diesem Augenblick hatte Reign begriffen, dass sie die Frau war, mit der er die Ewigkeit verbringen wollte. Ihre Gefühle hatte er gar nicht in Betracht gezogen. Er nahm einfach an, dass sie genauso empfand. Er wusste, dass sie ebenso fühlte.
Sie waren unvorstellbar glücklich gewesen - nicht auf märchenhaft idyllische Weise, sondern auf reale, dauerhafte Art. Bis er in der Hochzeitsnacht alles ruinierte.
Nein, darüber wollte er nicht nachdenken. Der Stich ihrer Zurückweisung war zu frisch, und er würde sich bloß noch dreckiger fühlen als ohnehin schon. Er sehnte sich nach der Vertrautheit, die einst zwischen ihnen bestanden hatte. Er wollte das Glück zurück, das so wenig greifbar schien. Auf dem Mond konnte es kaum entfernter sein.
Nun, während er sie im Schlaf betrachtete, sie so friedlich dalag, rieb er die Stelle an seiner Brust, in die sie ihm den Dolch gestoßen hatte. Die Wunde war längst verheilt, nicht einmal eine Narbe war geblieben, aber er fühlte noch das Reißen in sich, die furchtbare Erkenntnis, dass sein glückliches Leben zu Ende war. Vor dem Morgengrauen war sie fort gewesen, und seither hatte er sie weder gesehen noch gesprochen - bis sie bei Mrs. Willets Gesellschaft aufkreuzte und dreist verlangte, ihren Mann zu sehen.
War es Zufall, dass sie ihn auf den Tag genau dreißig Jahre nach seinem schrecklichen Betrug aufgesucht hatte? Reign hatte die Jahrhunderte überlebt, indem er sich auf seinen Instinkt verließ und klug war.
Niemandem traute er vollkommen, weil er wusste, dass jedes Vertrauen missbraucht werden konnte. Dazu bedurfte es gewöhnlich einer Gewaltandrohung gegenüber einer geliebten Person. Olivias Neffe beispielsweise war für sie der wichtigste Mensch auf der Welt. Für seine Sicherheit würde sie alles tun. Und selbst wenn Reign ihre Vergangenheit nicht in die Gleichung mit einbezog, war ihre Liebe zu James Grund genug, ihr nicht zu trauen, was sein eigenes Wohlergehen betraf.
Seine seltsame Ergebenheit war es, die ihn veranlasste, ihr seine Hilfe zu versprechen. Was bedeutete, dass er zunächst einmal herausfinden musste, was ihn antrieb, wider besseres Wissen ihrer Bitte zu entsprechen.
Sein Instinkt sagte ihm, dass sie eine Bedrohung darstellte. Er forderte ihn regelrecht auf, die Hand an ihren Hals zu legen und zuzudrücken, bis sie panisch erwachte und ihm gestand, was sie vorhatte. Sie hätte einen triftigeren Grund, ihn zu fürchten, sobald er alles Leben aus ihr herausquetschte, nicht wahr?
Ach was! Wem machte er etwas vor? Niemals könnte er sie körperlich verwunden, nicht so! Er würde sich verteidigen, sollte sie ihn angreifen, aber unter keinen Umständen könnte er ihr gegenüber gewalttätig werden, ungeachtet dessen - nein, trotz allem, was sie glauben mochte.
Andererseits hatte er wahrlich ganze Arbeit geleistet, als er sie traumatisierte.
jeder andere, der eine so offenkundige Bedrohung für ihn verkörperte, wäre längst tot. Aber vielleicht war sie sich dessen bewusst. Womöglich gehörte mit ihm zu schlafen zu ihrem Plan, um ihn in trügerischer Gewissheit zu wiegen und sein Vertrauen zu gewinnen.
Er rieb sich sein verkrampftes Kinn und verdrängte seine finsteren Gedanken. Vor allem musste er einen klaren Kopf behalten. Paranoia trübte lediglich sein Urteilsvermögen, und diese Schwäche konnte er sich nicht leisten.
Nicht, solange seine größte Schwäche keinen
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