Leidenschaft des Augenblicks
holte sie zwei dünne chinesische Teetassen aus dem Schrank und stellte sie zusammen mit der Kanne, einem passenden Zuckerdöschen und zwei Teelöffeln auf ein Tablett.
Als sie, das Tablett in der Hand, an ihrem Schreibtisch vorbeikam, blieb sie kurz stehen und legte den Bericht über den Fall Attwood neben die Tassen. Dann betrat sie Mrs. Valentines Büro.
Mrs. Valentine hatte die Zeitung auf ihrem Besuchertisch ausgebreitet, die Lesebrille auf der Nase und war vollkommen in die Titelgeschichte vertieft.
Während Jessie das Tablett abstellte, versuchte sie, einen Blick auf die Schlagzeile zu erhaschen. Befriedigt grinste sie übers ganze Gesicht, als sie las: WAHRSAGERIN DECKT MILLIONENBETRUG AUF.
»O mein Gott.« Mrs. Valentine las den Artikel sorgfältig bis zur letzten Zeile durch und blätterte dann um, da er auf der folgenden Seite fortgesetzt wurde. »Ach du meine Güte.«
Jessie konnte sich vor Aufregung kaum noch zurückhalten. Ungeduldig wartete sie, bis Mrs. Valentine endlich zu Ende gelesen hatte. Als ihre Arbeitgeberin dann die Zeitung zusammenfaltete und sich, leicht schockiert wirkend, in ihrem Stuhl zurücklehnte, hielt es Jessie nicht mehr länger aus.
»Nun, Mrs. Valentine? Was sagen Sie dazu? Valentine Consultations wird berühmt. Die Leute werden uns die Tür einrennen. Wir werden Wochen im voraus Termine vergeben müssen. Ich bin überzeugt, daß Valentine die meistgefragte Beraterfirma ihrer Art in der ganzen Stadt wird, vielleicht sogar im ganzen Staat.«
»Jessie, Liebes...«
»Ich habe schon alles geplant. Wahrscheinlich brauchen wir noch zusätzliche Leute, um den ganzen Papierkram zu erledigen, aber das ist okay. Ich habe einige Erfahrung im Personalbereich. Darum werde ich mich also kümmern.«
»Jessie...«
»Aber ich frage mich, ob wir nicht noch jemand suchen sollten, der wie Sie über hellseherische Kräfte verfügt.« Gedankenversunken begann Jessie, im Büro auf und ab zu gehen. »Wir werden schrecklich viel zu tun haben, und ich glaube nicht, daß wir uns zu sehr auf meine Fähigkeiten verlassen sollten. So ungern ich es zugebe, aber ich fürchte, ich habe keine besondere hellseherische Begabung. Ich eigne mich eher fürs Management.«
»Jessie... da gibt es etwas, worüber wir uns unterhalten müssen.«
»Ich werde mit Mom und Connie reden, damit sie sich etwas für die Ausstattung des Büros einfallen lassen.«
»Es ist wichtig, Jessie, Liebes...«
»Schließlich soll es hier einerseits professionell wirken, gleichzeitig aber auch ansprechend und ein klein wenig übersinnlich. Es soll nach Erfolg aussehen, ohne arrogant zu wirken, wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Jessie...«
»Langfristig werden wir uns wahrscheinlich sowieso nach einem größeren Büro umsehen müssen. Aber damit sollten wir noch etwas warten. Oder was meinen Sie?«
»Jessie, es tut mir leid, aber Sie werden gehen müssen, meine Liebe.«
»Außerdem dachte ich, es wäre vielleicht eine gute Idee, wenn wir... Was haben Sie gesagt?« Jessie blieb abrupt stehen und starrte ihre Noch-Chefin an. »Mrs. Valentine, das kann doch nicht Ihr Ernst sein!«
Mrs. Valentine seufzte schwer. »Ich bedaure es wirklich außerordentlich, Liebes. Sie wissen, daß ich Sie sehr gerne mag. Sie um sich zu haben, ist eine reine Freude. Aber ich fürchte, Valentine Consultations ist, äh, ein zu kleines Unternehmen, um sich eine Assistentin leisten zu können.«
Jessie stützte sich mit beiden Händen auf die Schreibtischplatte. »Aber genau darum geht es doch, Mrs. Valentine. Wenn diese Schlagzeilen erst einmal die Runde gemacht haben, ist es kein kleines Unternehmen mehr. Das Telephon wird wie wild klingeln. Wir werden uns vor Aufträgen kaum retten können.«
»Und das ist exakt das, was ich nicht möchte, meine Liebe. Ich wollte nie, daß Valentine Consultations ein größeres Unternehmen wird. Mir war es so gerade recht - eine hübsche kleine Firma, die ich ganz allein führen kann. Ich hegte schon damals, als ich Sie einstellte, gewisse Zweifel, aber ich fand Sie so sympathisch, daß ich alle unguten Vorahnungen außer acht ließ. Gerade ich hätte es wirklich besser wissen müssen. Und jetzt schauen Sie sich an, was passiert ist: Sie haben alles kaputtgemacht. Es könnte sogar sein, daß ich die Firma ganz zumachen muß, bis sich der Trubel gelegt hat.«
»Mrs. Valentine, soll das heißen, daß Sie mich feuern?«
Mrs. Valentine seufzte wieder. »Ich fürchte ja, meine Liebe. Aber machen Sie sich keine
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