Leidenschaft des Augenblicks
Selbstverständlich war alles erstklassig, sauber und in Ordnung. Jedes Stück befand sich an seinem Platz. Nirgendwo ein Staubkörnchen. Der Reinigungsdienst, den er dafür bezahlte, leistete gute Arbeit. Verdammt, die Wohnung sah aus, als würde gar niemand darin leben.
Vieles hatte er nicht einmal ausgepackt. Dazu war nie Zeit gewesen. Von dem Moment an, als er hier eingezogen war, hatte er bis zum Hals in Arbeit gesteckt - und dann kamen noch seine Bemühungen um Jessie hinzu. Seine Wohnung wirkte eigentlich eher wie ein Hotelappartement.
Gefeuert.
Kaum vorstellbar, daß alles vorbei war. Kaum vorstellbar, daß sich alles, worauf er hingearbeitet hatte, in Luft auflöste. Kaum vorstellbar, daß Vincent Benedict seinen Bluff durchschaut hatte.
Unvorstellbar, nun auch noch Jessie zu verlieren.
Hatch war sich so sicher gewesen, den älteren Mann dazu bringen zu können, die Firma aufzuteilen. Er hatte voll darauf gesetzt, Vincent Benedict richtig eingeschätzt zu haben. Natür-lich hätte er von Anfang an wissen müssen, daß Benedict zu borniert und zu dickköpfig war, um sich in eine Situation hineinmanövrieren zu lassen, die nicht seinen Vorstellungen entsprach.
Hatch hatte mit einem alten Profi gepokert und verloren. Er hatte alles auf eine Karte gesetzt. Und sich verkalkuliert.
Die Drohung, mit Jessie fortzugehen, war nicht mehr als ein Bluff gewesen. Hatch sagte sich, er hätte wissen müssen, daß Benedict zu schlau war, um darauf hereinzufallen. Es war verrückt von ihm gewesen, zu glauben, daß Jessie tatsächlich ihre Familie und alle selbst auferlegten Verpflichtungen im Stich lassen würde, um mit einem Mann zu verschwinden, der sie nervös machte. An erster Stelle stand bei ihr immer die Familie. Das war ihm von Anfang an klar gewesen. Zum Teufel, er hatte genau diese Tatsache benutzt, um sie in eine Bindung zu locken.
Es war verrückt von ihm gewesen zu hoffen, daß sie mit einem Mann weglaufen würde, dem sie eigentlich nur deshalb ihr Jawort gegeben hatte, weil der Rest der Familie sie drängte. Mit einem Mann, dessen Hauptattraktivität darin bestand, daß er der handverlesene Nachfolger für Vincent Benedict war.
Hatch machte sich nichts vor. Er hatte sich schon einmal in einer ähnlichen Situation befunden und wußte, wie die Sache ausgehen würde. Zwar war Jessie nicht wie Olivia. Hatch war sich relativ sicher, daß sie tatsächlich etwas für ihn empfand. Aber die Tatsache, daß sie sich erfolgreich eingeredet hatte, ihn zu lieben, würde nicht genügen, sie dazu zu bringen, mit ihm fortzugehen. Nicht, wenn die Beziehung ansonsten im argen lag.
Es half alles nichts. Er mußte die Situation realistisch beurteilen, mußte sie aus dem Blickwinkel einer Frau sehen.
Wenn Jessie mit ihm wegging, würde sie alles zurücklassen müssen, was ihr lieb und teuer war: Sie würde Elizabeth verlassen, Seattle verlassen, die Bindung zu ihrer Familie und ihre Verpflichtung gegenüber Benedict Fasteners aufgeben müssen.
Jessies weiteres Schicksal lag dann in den Händen eines Mannes, der im Grunde noch einmal ganz von vorne anfing. Und Hatch wußte aus Erfahrung, daß Frauen derartige Dummheiten zwar häufig in Romanen, im richtigen Leben aber nur selten machten.
Er blickte auf die Hausbar und überlegte, ob er sich einen Drink einschenken sollte. Eigentlich hatte er dringend einen nötig.
Doch dann entschied er sich, damit zu warten, bis er mit Jessie gesprochen hatte. Danach würde er ihn noch viel nötiger haben.
Hatch drückte die Klingel an der Tür von Jessies Apartmenthaus. Den Schlüssel, den sie ihm gegeben hatte, wollte er heute nicht benutzen. Er kam heute nicht wie üblich von der Arbeit nach Hause. Heute stattete er seinen letzten Besuch ab.
»Ja?« kam Jessies Stimme aus dem Lautsprecher.
»Ich bin's.«
Sie sagte nichts, drückte aber den Türöffner. Hatch ging hinein und begann die Treppe hinaufzusteigen.
Er blickte sich um und bemerkte, wie vertraut ihm alles vorkam. Er hatte sich daran gewöhnt, jeden Abend hierherzukommen. Es war ihm bereits zur lieben Gewohnheit geworden, sich darauf zu freuen, daß Jessie oben auf ihn wartete, daß ein Glas Wein auf dem Tisch stand und leckere Düfte aus der Küche ein wunderbares Abendessen ankündigten.
Kein Wunder, daß die meisten Männer sich eine gute Hausfrau wünschten. Sie machte einem das Leben sehr viel einfacher.
Andererseits war Jessie nicht der Typ Frau, der sich ein Leben lang nur mit Kindern und Küche beschäftigen
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