Leidenschaft des Augenblicks
gefiel es ihm noch weniger als im Wartezimmer.
»Ich wäre ja zu Ihnen gekommen, aber ehrlich gesagt, wollte ich nicht riskieren, Jessies Vater in die Arme zu laufen. Vincent würde mich fragen, was ich denn bei Benedict Fasteners wolle, und da es hier um Jessie geht, ist es mir so lieber.«
»Es geht um Jessie?« Hatchs Unbehagen wuchs.
»Ich fürchte, ja. Wollen Sie sich nicht setzen?«
Er musterte den Stuhl, der neben einem Tisch mit einer großen Schachtel Papiertaschentücher stand. Ein unerfreulicher Anblick. »Nein, danke. Ich habe nicht viel Zeit, Glenna.«
»Ja, selbstverständlich. Sie sind ja so ein vielbeschäftigter Mann. Genau wie Vincent.« Die Art und Weise, wie sie ihn anlächelte, sprach Bände. Sie nahm hinter ihrem Schreibtisch Platz und legte ihre gefalteten Hände vor sich auf die polierte Holzplatte. »Es ist nicht leicht, den rechten Anfang zu finden, Hatch. Bitte haben Sie ein wenig Geduld mit mir.«
Hatch nahm sich vor, geduldig zu sein. Es war deutlich zu sehen, daß es um etwas ging, was ihr wirklich am Herzen lag. »Ich schlage vor, Sie fangen einfach mit Jessie an.«
»Ja, Jessie.« Glenna verstummte wieder und blickte an ihm vorbei auf ein hübsches Pastellgemälde, das die ihr gegenüberliegende Wand schmückte. »Ich habe Jessie sehr, sehr gern, Hatch. Ich kenne sie seit ihrer Geburt.«
»Das ist mir klar.«
»Sie hat es nie leicht gehabt in unserem recht ungewöhnlichen Familienverband. Und eine sehr dankbare Rolle übernommen. Das hängt damit zusammen, daß sie trotz oder gerade wegen der zahllosen Streitereien mit ihrem Vater die einzige ist, die ihn richtig zu nehmen weiß. Er ist ein ausgesprochen schwieriger Mensch. Verstehen Sie, was ich sagen will?«
»Natürlich. Sie nimmt es mit ihm auf, während alle anderen vor ihm kuschen. Es hat sich eingebürgert, Jessie einzuschalten, wenn man etwas von Benedict will. Und sie gibt sich dazu her, weil die Familie ihr unheimlich wichtig ist. Deshalb läßt sie sich von Ihnen allen ausnutzen. So einfach ist das.«
Glenna seufzte. »Das ist zwar etwas kraß formuliert, aber im Grunde haben Sie recht. Genauso funktioniert es. Vincent Benedict gefällt sich in der Rolle des Alleinherrschers. Und seine Familie hat er dadurch in der Hand, daß er auf dem Geldsack sitzt.«
»Ich finde es nur interessant«, bemerkte Hatch, »daß Jessie ihren Vater niemals um etwas für sich selbst bittet. Das ist doch auffällig, nicht?«
»Hier irren Sie sich. Die Rolle, die sie gegenwärtig spielt, verdankt sie nämlich in erster Linie der Tatsache, daß sie sehr wohl etwas von Vincent wollte. Als kleines Mädchen sehnte sie sich danach, von ihrem Vater beachtet und geliebt zu werden. Vincent hat weiß Gott nie offen Gefühle gezeigt. Solange Jessie klein war, konnte sie ihn emotional kaum erreichen. Also hat sie sich eine Rolle gesucht, die ihn dazu zwingt, ihr Aufmerksamkeit zu schenken. Das war die einzige Möglichkeit für sie, ihn überhaupt für sich zu interessieren.«
»Sie behaupten also, Jessie setze sich nur deshalb für alle anderen ein, um ihn damit auf sich aufmerksam zu machen?« Hatch blickte Glenna an. Seine Neugierde war geweckt.
»Ja. Sie tut es schon so lange, daß es zu einem echten Verhaltensmuster geworden ist. Einem Habitus, den sie nicht mehr so einfach ablegen kann.«
»Und das Endergebnis davon ist, daß sie euch alle zusammenhält. Ohne sie wäre die Familie längst auseinandergefallen. Warum erzählen Sie mir das eigentlich, Glenna?«
»Ich versuche Ihnen zu erklären, wie und warum Jessie in diese komplizierte und komplexe Beziehung zu ihrem Vater hineingerutscht ist.« Glenna zögerte. »Und der Grund ,warum ich Ihnen das alles erzähle, ist, daß Jessie auf keinen Fall jemanden heiraten sollte, zu dem sie ein ähnliches Verhältnis wie zu ihrem Vater haben würde. Auch wenn das für alle Beteiligten das bequemste wäre.«
Endlich verstand Hatch, worauf sie hinauswollte. Er schluckte den aufsteigenden Ärger hinunter. »Sie sprechen von mir, nehme ich an?«
»Ich fürchte, ja. Ich muß Ihnen einfach sagen, daß es ausgesprochen unfair wäre, Jessie in eine Ehe mit Ihnen hineinzudrängen. Und sie selber ist so daran gewöhnt, sich für die Familie zu opfern, daß ich es für sehr wahrscheinlich halte, daß sie letztlich genau das mit sich machen läßt. Das heißt, es besteht die Gefahr, daß sie sich ihr eigenes Leben ruiniert, nur um der Familie einen Gefallen zu tun.«
»Eine Frage noch, Glenna. Was für
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