Leidenschaft in Rot
freien Hand blätterte ich im Telefonbuch. Es handelte sich um Anwälte.
»Ja? Hallo?« sagte Mendez mit ungeduldiger, gehetzter Stimme.
»Entschuldigen Sie die Störung. Wir benötigen die Adresse der nächsten Angehörigen von D. C. Ives.«
»Wer ist wir?«
»Keller-Foto, Sir. Wir hatten ein Objektiv in Reparatur. Es war noch unter Garantie, aber es hat sehr lange gedauert. Wir mußten es zum Hersteller nach Deutschland schicken, ohne Kostenberechnung natürlich, und jetzt ...«
»Miss Totter? Geben Sie dem Burschen die Adresse von Jocelyn Ives.«
Ich hörte, wie er auflegte. »Hallo?« sagte Miss Totter. »Einen Augenblick bitte.« Rasch war sie wieder am Hörer. »Haben Sie etwas zum Schreiben? Miss Jocelyn Ives, 2829 Appleton Way. Telefon 765-2193. Haben Sie es?«
»Danke. Wann ist Ives eigentlich gestorben?«
»Ach, ein paar Tage vor Weihnachten. Er hat länger durchgehalten, als man dachte, wissen Sie. Tag um Tag, und alles bei diesem Hirnschaden. Es ist so ein Jammer. Er war ja so begabt.«
»Nun ja, das ist der Lauf der Welt.«
»Ich hoffe, man schnappt die Kerle eines Tages.«
»Das hoffen wir alle. Vielen Dank, Miss Totter.«
Ich war schon auf dem Weg aus der Telefonzelle, dann ging ich zurück und probierte die Nummer, die sie mir gegeben hatte. Es klingelte dreimal. Eine Frau nahm ab. »Ist Georgie zu sprechen?« fragte ich.
»Da sind Sie falsch verbunden, glaube ich«, sagte sie. Ich bedankte mich und legte auf. Nachdenklich ging ich wieder auf mein Zimmer. Diesen Akzent kannte ich. Er klingt nach Cockney, ist es aber nicht, sondern australisch.
Dana hatte gerade ihr Gespräch mit Lysa Dean beendet. Miss Dean berichtete, die Werbetournee sei ein Erfolg, und das Publikum habe Winds of Chance am Premierenabend gut aufgenommen. Bald würde sie mit ihrer Gruppe nach New York Weiterreisen. Zusätzliche Werbearbeit, Showauftritte und so weiter, vier Tage dort und dann weiter nach Chicago.
Ich berichtete, was ich erfahren hatte, und ergänzte es um das, was ich mir zusammenreimte. Dana wirkte eher fasziniert als schockiert. »Umgebracht, hm?«
»So sieht es aus.«
»Er war in einer gefährlichen Branche tätig.«
»Am besten versuchen wir es einfach bei dieser Schwester.«
»Darf ich mitkommen?«
»Vielleicht muß ich Gewalt anwenden. Ich probiere es erstmal alleine. Sie können es dann ja mit einer anderen Methode versuchen.«
Der Appleton Way war eine Sackgasse. Lagerhallen rückten immer dichter heran. In der Nähe wurden zwecks zweifelhafter Verbesserungen Häuserblocks geschleift. Aber die Straße selbst bot noch die Illusion von Frieden. Neben Wohnblocks gab es alte Gartenanlagen in pseudomaurischem Stil mit verblichenen Gelbtönen auf alter Stuckatur. 2829 war einer der größeren Bauten, und ihre Tür ging von einem überdachten offenen Flur an der Seite ab. Eine dunkle Tür, die sich ins Dämmerlicht einer kleinen Wohnung mit zu wenigen Fenstern öffnete. Sie musterte mich durch die fünfzehn Zentimeter breite Lücke, die die Sicherheitskette zuließ. Ich stellte fest, daß es sich wohl eher um die Tochter als um die Schwester handelte.
»Was wollen Sie?«
Man muß ein Gespür dafür haben, ein unmittelbares, instinktives Erkennen der Schwachstellen. Die hier war ängstlich und überheblich. Ein großes, blasses Mädchen, wie Alice unter einem seltsamen Vergrößerungsglas. Eine zwanzigjährige alte Jungfer. So etwas gibt es. Ein massiger, ungelenker, fetter Leib in einem häßlichen Pullover. Ein Kindergesicht. Rote Nase. Bleiche, volle Lippen.
»Ich möchte mich vergewissern, daß Sie Jocelyn Ives sind. Könnten Sie mir irgend etwas zeigen, das Sie ausweist?« Ich sprach mit vertraulich gedämpfter Stimme.
»Wie käme ich dazu?«
»Sie haben den gleichen Akzent.«
»Wer sind Sie? Was wollen Sie?«
»Es ist schon einige Zeit her, da habe ich gewissermaßen in geschäftlicher Verbindung mit ihm gestanden. Ich bin gekommen, um wieder Kontakt mit ihm aufzunehmen, und mußte feststellen, daß er tot ist.«
Sie nagte an ihrer Lippe. Dann zwinkerte sie mir zu meiner höchsten Verblüffung verschwörerisch zu. Sie schloß die Tür, hakte die Kette aus und machte auf. »Bitte kommen Sie rein«, sagte sie herzlich. »Ich verstehe, daß Sie mir Ihren Namen nicht nennen können«, sagte sie, während sie die Tür hinter uns schloß.
»Äh ... das freut mich.«
»Hier hinten durch. Die Wohnung ist ein einziges Durcheinander. Ich hab heute frei.« Ich folgte ihr durch den düsteren
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