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Leidenschaft in Rot

Leidenschaft in Rot

Titel: Leidenschaft in Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John D. MacDonald
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einen Teil des Hecks unseres hellgrauen AVIS-Mietwagens sehen, den ich in einer Ausbuchtung geparkt hatte. Ich schaute mich um. Es war unsinnig, anzunehmen, nach eineinhalb Jahren ließe sich noch etwas finden. Aber etwas fand ich doch. Es steckte in einer Spalte zwischen den Steinen, als habe jemand es dort zerdrückt und hineingezwängt. Eine kleine, verkrumpelte Pappschachtel, einst gelb, inzwischen von Sonne, Regen und Witterung zu einem breiigen Weiß verblichen. Schemenhaft konnte ich weiß auf weiß eine Schrift erkennen. Kodak - Plus X Pan.
    Ich nahm sie mit nach unten und reichte sie Dana, als ich mich hinters Steuer setzte. Sie schaute sie mit gerunzelter Stirn an, dann erkannte sie, was es war. Sie schaute mich fragend an. »Wieso sollte es dadurch realer werden? Mein Gott, könnte etwas realer sein als diese Bilder? Aber das ist ... wie Archäologie, irgendwie. Es ist ... faßbarer.«
    »Gewöhnen Sie sich nicht an das Gefühl, Dana. Detektivspielen kann zur Krankheit ausarten.«
    »Es ist ein unheimliches Gefühl. Ich glaube nicht, daß es mir gefällt. Irgendwie ist es unfair, Travis. Die Menschen werden so bloßgestellt. Es macht Menschen zu Zwergen, nicht wahr? Indem sie zu Zwergen werden, fühlt man sich selbst größer. Macht das die Faszination aus?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Aber auf irgendeine Weise befriedigt es Sie doch, oder?«
    »Lassen wir das Thema, ja?«
    »Tut mir leid, ich wußte nicht, daß es ein wunder ...«
    »Lassen wir es?«
    »Okay!«
    In raschem Tempo fuhr ich nach Süden, stumm und mit einer schweigenden Frau neben mir. Seitdem Freuds fauler Zauber populär geworden ist, bohren wir alle wie süchtig in uns herum, um zu sehen, wo es weh tut, Mammi. Ohne jemanden zu haben, der uns küßt und alles wieder heil macht.
    Was macht es schon, wenn ich süchtig nach der Jagd bin? Nichts weiter, als daß ein regelmäßiges Leben unmöglich wird. Man tauscht Kinder und Kamin und regelmäßige Beförderungen und die Berufung ins Haus- oder ins Gartenkomitee für ein paar seltene, sehr seltene, klare, saubere Momente einer wilden Befriedigung ein, die so etwas wie wahrer Freude nahekommt. Und kann sich bei alledem möglicherweise ein Stück notwendiges Privatleben bewahren. Der liebe Onkel Sam besitzt über 23 000 Polygraphen. Lügendetektoren. Gott allein weiß, wie viele die Industrie hat. Sie geben sich nicht mehr zufrieden damit, einen mit sämtlichen Skalen der Persönlichkeitstests zu traktieren, sondern wollen hundertprozentig sichergehen, daß man ihnen nicht einfach die Antworten gibt, die sie, vermeintlich, hören wollen. Sie wollen dich ein für allemal in deine Schachtel stecken, Kumpel. Kriech rein und bleib still liegen, und in vierzig Jahren buddeln wir dich ein.
    Immer mal wieder drängt sich mir so ein komisches Gefühl auf. Das Gefühl, daß zum letzten Mal in der Geschichte Spinner wie ich die Möglichkeit haben, in den Nischen und Ecken des riesigen Baus einer immer normierteren Gesellschaft zu überleben. In fünfzig Jahren würde man mich durch die Straßen jagen. Sie würden mir kleine Löcher in den Schädel bohren und mich vernünftig und zuverlässig und angepaßt machen.
    Ich bin, um es so bitter wie möglich auszudrücken, ein Romantiker. Ich erkenne eine Windmühle, wenn ich sie sehe, weiß Gott, und ich pfeife auf mein weißes Roß. Es paßte schon, daß Lysa Dean die Maid in Bedrängnis war. Sie ist so ein liebes Mädchen.
    »Egal«, sagte ich laut, »jedenfalls schafft sie es, wie ein liebes Mädchen rüberzukommen.«
    Zwei Sekunden blieb Dana ruhig und nickte mit dem Kopf. Dann zuckte sie zusammen und starrte mich an. » Lassen Sie das!«
    »Was soll ich lassen?«
    »So in meinem Kopf herumzuspionieren. Woher wußten Sie, was ich gerade denke?«
    »Ich wußte es nicht.«
    Sie schaute mich zweifelnd an. Ich warf ihr von Zeit zu Zeit einen Blick zu, wenn ich die Augen von dem zähen, eintönigen kalifornischen Verkehr wenden konnte. Und mit einem Mal waren wir uns irgendwie näher. Vielleicht ist es wie bei der Lernkurve, die das Profil einer Treppe hat. Wir wußten beide, daß etwas geschehen war, und wußten nicht, was. Ihr Gesicht hatte Farbe angenommen, und sie wandte sich ab. Ich konnte sie nicht mehr realistisch sehen. Ich erinnerte mich, daß ich eine dunkelhaarige, beherrschte Frau mit energischen Zügen kennengelernt hatte. Eine Fremde. Das war nicht sie. Das hier war Dana. Jemand anderes. Danas Augen, Danas Mund, Danas Haare und Ohren und Körper.

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