Leise Kommt Der Tod
in London.«
24
Quinns Tag hatte um sechs Uhr früh angefangen, als Megan zu ihm kam, ihn weckte und bat, dasselbe rosafarbene Kleid tragen zu dürfen wie am Vortag. Quinn hatte mit einer Engelsgeduld versucht, ihr klarzumachen, dass das Kleid schmutzig sei und sie etwas anderes anziehen müsse, aber sie hörte nicht auf zu schreien und auf ihre Meinung zu beharren. Letzten Endes zog er resigniert das bereits streng riechende Kleid aus der Schmutzwäsche. Ähnliche Szenen hatten sich in der letzten Zeit öfter ereignet, und er hatte Patience bereits davon unterrichtet, dass Megan seit neuestem nicht besonders kompromissbereit war, was die Auswahl ihrer Klamotten anging. Allerdings hatte das Ganze einen Grund: Patience ließ die Kleine tragen, was immer sie wollte.
Als er im Hauptquartier eintraf, fand er eine Nachricht von Special Agent Steve Kirschner vor, einem der FBI-Agenten, die 1979 den Raubüberfall auf das Hapner Museum bearbeitet hatten. Außerdem lagen auf seinem Schreibtisch die original Fallakten der damaligen Untersuchung durch das Cambridge Police Department sowie die Akten der Untersuchung von Karen Philips’ Tod. Er rief Kirschner zurück und verabredete sich mit ihm für fünf Uhr im Hauptquartier. Dann überquerte er den Central Square, um sich einen Kaffee zu holen, ehe er sich an die Akten machte.
Er hatte gerade damit begonnen, die Papiere durchzulesen,
als Ellie den Konferenzraum betrat und sich gegenüber von ihm hinsetzte. »Hi«, begrüßte er sie. »Ich habe jetzt die FBI-Akten des Diebstahls hier. Du kannst mir dabei helfen, sie durchzusehen.«
»Okay«, entgegnete sie. »Aber ich habe Neuigkeiten im Fall Luz Ramirez und dachte, du möchtest mich vielleicht begleiten.«
»Was gibt es?« Bis jetzt hatten sie in einer Sackgasse gesteckt, was diesen Fall betraf. Niemand aus der Nachbarschaft war in der Lage gewesen, ihnen Auskünfte zu geben, obwohl sie sogar einen Übersetzer bemüht hatten. Dessen Einsatz hatte Quinn deutlich gemacht, wie viel Bedeutung dem Mienenspiel der Befragten im Verhältnis zu den tatsächlich gesprochenen Worten bei einer Aussage beizumessen war.
Ellie nahm ihr Notizbuch heraus und deutete mit einer selbstzufriedenen Geste auf Quinn. »Ich habe eine Freundin von ihr gefunden, die bereit war, mit mir zu sprechen. Unsere Tote hat in einem Salon gearbeitet.« Sie betonte das Wort auf der ersten Silbe.
»Ein was?«
»Ein Frisörsalon.«
»Oh. Hast du den Namen?«
»Ja. Er heißt ›Mein Blauer Himmel‹ und liegt die Straße runter an der Mass. Avenue. Sie wusste die genaue Adresse nicht, aber er steht bestimmt im Telefonbuch.«
»Großartig. Warum fährst du nicht gleich hin und sprichst mit ihnen? Schau, ob du was rausfindest. Gute Arbeit, Ellie. Wirklich.«
Sie erlaubte sich ein schmales Lächeln. »Willst du mich nicht begleiten?«
»Nein, ich habe hier noch einiges zu erledigen, bevor der Typ vom FBI kommt.«
»Sollte ich besser hierbleiben, damit ich auch mit ihm sprechen kann?«
Quinn drehte sich zu ihr und sah sie an. »Nein.« Augenblicklich sanken ihre Mundwinkel nach unten, ehe sie ihrem Ärger Luft machte. Er hatte sie noch nie wütend erlebt. Ihre feinen, weiblichen Gesichtszüge zogen sich kraus, die Augen sanken in ihre Höhlen, sie kniff die Lippen zusammen.
»Bist du wütend auf mich, oder was?« Sie stellte sich in Positur, reckte den Kopf nach oben und schob die Brust etwas nach vorn. Ihr ganzer Körper war gespannt, sie erinnerte ihn an eine Katze, und er fürchtete, sie würde ihn anspringen, sobald er ein falsches Wort sagte.
»Was?« Er drehte sich erneut zu ihr. »Nein. Wie kommst du darauf?«
»Weil es so wirkt.«
»Nun, ich bin nicht wütend auf dich. Warum sollte ich?«
»Es kommt mir eben so vor.«
»Sieh mal, wenn du eine Polizistin werden willst, dann musst du dir ein dickeres Fell zulegen. Ich habe nichts gegen dich, okay? Vielleicht bin ich etwas abgelenkt, weil ich im Moment zwei wichtige Fälle am Laufen habe.«
»Ich bin Polizistin.«
»Wie bitte?«
»Ich sagte, ich bin Polizistin. Und nicht du hast zwei wichtige Fälle am Laufen, sondern wir .« Sie sahen sich tief in die Augen, dann fuhr Ellie fort: »Übrigens habe ich mit Cyrus Hutchinson gesprochen. Er hat wohl mehreren Leuten zu Weihnachten eine Flasche von diesem Scotch geschenkt, auch Willem Keane. Er vermutet, dass Olga sie aus Keanes Büro gestohlen hat.« Dann zog sie eine Grimasse und verließ das Zimmer.
Quinn wusste nicht, ob er lachen oder
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