Leises Gift
erste würde Viren beinhalten.«
»Daran habe ich selbst schon gedacht, aber ich weiß nicht genug darüber, um jemand anderen auch nur zu gefährden.«
»Sie müssten bereit sein, einige Zeit zu warten, während Ihr Opfer stirbt.«
Chris nickte vor sich hin. »Zeit ist kein Faktor in diesen Fällen, bis zu einem gewissen Punkt.«
»Nun, Sie wissen, dass HTLV – Humanes T-Zell-lymphotropes Virus vom Typ Eins – zumindest für eine Form von Leukämie verantwortlich ist. Das Kaposi-Sarkom, das mit HIV in Zusammenhang steht, ist das Resultat einer Infektion mit HHV-Acht. Das Epstein-Barr-Virus verursacht Burkitt-Lymphome, und von humanen Papillomviren weiß man, dass sie Gebärmutterhalskrebs verursachen. HHV-Acht spielt möglicherweise auch bei multiplen Myelomen eine Rolle. Ich denke, im Verlauf der nächsten zehn Jahre werden wir entdecken, dass Viren verantwortlich sind für alle möglichen Formen von Krebs, von denen wir heute noch nicht einmal ahnen, dass sie eine virale Ätiologie besitzen oder durch einen Mediator hervorgerufen werden. Das Gleiche gilt für andere Erkrankungen.«
Während Chris Connollys Worte in einer Stenoschrift mitkritzelte, die er während des Medizinstudiums für sich erfunden hatte, redete er weiter, um den Hämatologen bei der Stange zu halten. »Ich weiß, dass eines der Herpesviren mit multipler Sklerose in Zusammenhang stehen soll.«
»HHV-Sechs«, sagte Connolly. »Und es gibt Indikationen für eine virale Komponente bei Jugenddiabetes. Doch kommen wir zurück zum Krebs. Es besteht kein Zweifel, dass bestimmte Viren Krebs verursachen. Doch Sie dürfen nicht vergessen, die Erkrankung ist kein einstufiger Prozess. Millionen Frauen tragen HPV in sich, doch nur wenige entwickeln Gebärmutterhalskrebs. Millionen Menschen rauchen, ohne an Lungenkrebs zu erkranken. Es würde also nicht ausreichen, ein onkogenes Retrovirus zu isolieren und jemanden damit zu infizieren. Eine Reihe weiterer Rätsel wäre vorher zu lösen. Beispielsweise, wie man Tumorsuppressor-Gene abschaltet und zelluläre Wachstumsfaktoren erhöht. Es würde eine massive Forschungsanstrengung erfordern.«
Chris’ Gedanken waren bereits vorausgeeilt. »Wir reden also hier über etwas, das über das heutzutage technisch Machbare hinausgeht?«
»Ganz und gar nicht. Ich habe es bereits selbst getan, hier in meinem Labor.«
Connollys Worte trafen Chris wie ein körperlicher Schlag.
»Was?«
»Es ist erstaunlich, ja. Um die Ursachen für chronische myelogene Leukämie zu verstehen, haben mein Team und ich im Grunde genommen eine Gentherapie umgekehrt. Wir haben ein Leukämie-induzierendes Gen in ein Retrovirus eingeführt und anschließend eine Maus damit infiziert. Das Onkogen wurde in das Genom der Maus eingebaut, und binnen weniger Wochen hatte die Maus eine Nagetierversion von CML entwickelt.«
Chris hatte es die Sprache verschlagen. Nach mehreren Sekunden stieß er hervor: »War diese Maus immungeschwächt?«
»Nein. Sie war kerngesund.«
»Mein Gott, Peter!«
»Was?«
»Sie haben diese Maus praktisch umgebracht, indem Sie sie mit Krebs infiziert haben!«
»Absolut. Und wegen dieses Mordes an einer Maus werden wir eines Tages Tausende von Menschenleben retten, Chris.«
»Sie haben mich missverstanden, Pete. Was ich von Ihnen wissen wollte … der Grund meines Anrufs … es ist also möglich.«
»Theoretisch zumindest, würde ich sagen.«
»Und wie sieht es in der Praxis aus?«
Connolly nahm sich ein paar Augenblicke Zeit, um über die Frage nachzudenken. »Ich nehme an, wenn man einige höhere Primaten zur Verfügung hätte, an denen man seine Arbeit testen könnte – oder, was Gott verhüte, menschliche Wesen –, dann … nun, dann wäre es möglich.«
Chris packte den Hörer in seiner Hand so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. Er war wie betäubt.
»Ich wäre besorgt«, fuhr Connolly fort, »ich wäre ernsthaft besorgt, wenn die Forschungen nicht Millionen Dollar verschlingen würden, bis jemand den Punkt erreicht hätte, an dem er diese Methode benutzen kann, um Menschen zu töten. Ganz zu schweigen davon, dass er verdammt weit oben auf der Intelligenzkurve sitzen müsste.«
»Aber wenn jemand diese Methode benutzen würde, könnte er sicher sein, dass er ungeschoren davonkommt? Ohne Mordanklage?«
Connollys Stimme nahm einen klinisch distanzierten Tonfall an. »Chris, wenn ich diese Technologie gegen ein menschliches Wesen einsetzen würde, könnte ich töten, wen immer ich wollte,
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