Leises Gift
Beweise entwickelt und war auf diesem Weg zu einem zwar unglaublichen, aber dennoch möglichen Schluss gelangt. Chris hatte ihre Ideen einzig und allein auf der Basis professioneller Voreingenommenheit verworfen. Er fühlte sich wie einer der selbstherrlichen französischen Ärzte, die Louis Pasteur ins Lächerliche gezogen hatten, als der Landarzt behauptet hatte, dass ein Bakterium für Anthrax verantwortlich wäre.
Doch Chris war nicht wie diese Ärzte.
Nachdem er seine Irrwege aufgezeigt bekommen hatte, würde er sich in einen eifrigen Bekenner verwandeln. Schließlich stand nicht weniger als sein eigenes Leben auf dem Spiel.
28
Alex saß in einem niedrigen Sessel gegenüber vom Schreibtisch eines der beiden Deputy Directors des FBI. Einen der beiden betrachtete sie als Freund – der andere hatte sich bereits vor langer Zeit als Feind zu erkennen gegeben.
Und genau diesem Mann saß Alex nun gegenüber.
Außerhalb der FBI-Zentrale in Washington hieß es hinter vorgehaltener Hand, Mark Dodson sei eugenisch als Bürokrat gezüchtet worden. Er hatte wenig Zeit im aktiven Einsatz verbracht und sein Augenmerk von Anfang an auf die FBI-Zentrale gerichtet. Durch geschickte Nutzung der politischen Verbindungen seiner Familie hatte Dodson sich mit bisher nie gekannter Geschwindigkeit in die Hallen der Macht geschmeichelt. Er hatte seine Talente in der ethisch und moralisch bankrotten politischen Umwelt von Washington geschliffen, bis sein Charakter nur noch aus dem bestand, was nach zahllosen Kompromissen nicht zum Besten des FBI, sondern zum schnellstmöglichen Voranschreiten auf der Karriereleiter der streng vorgegebenen Hierarchie erforderlich war. Sein Titel besagte alles: Associate Deputy Director, Administration.
Dodson hatte während ihrer Washingtoner Zeit schon früh Stellung gegen Alex bezogen. Sie hatte keine Ahnung, warum das so war, doch in den weitläufigen Korridoren des J. Edgar Hoover Building konnte man nie genau wissen, warum irgendetwas so und nicht anders war. Nach dem Fiasko in der Federal Reserve Bank hatte Dodson alle Hebel in Bewegung gesetzt, um Alex’ Entlassung zu bewirken. Hätte nicht Senator Clark Calvert persönlich interveniert – einer der standhaftesten Unterstützer von Alex –, Dodson hätte sein Ziel wohl erreicht.
Diesmal jedoch würde es keinen Entsatz in letzter Minute durch die Siebte Kavallerie geben, und diesmal konnte Alex niemand anderem die Schuld geben außer sich selbst. Dodson starrte sie mit unverhüllter Selbstzufriedenheit über den Schreibtisch hinweg an.
»Ich nehme an, Sie hatten einen angenehmen Flug?«
»Könnten wir die Spielchen sein lassen?«, erwiderte Alex müde. »Könnten wir einfach gleich zur Sache kommen? Ich bin wirklich zu müde für Spielchen.«
Die gute Laune verschwand aus Dodsons Gesicht wie weggewischt. Er beugte sich über den Schreibtisch. »Ganz wie Sie meinen, Agentin Morse«, sagte er mit rauer Stimme. »Morgen früh um neun Uhr haben Sie ein Meeting mit drei Vertretern der Dienstaufsicht des FBI. Vor der Befragung wird man Sie zu einem Drogentest bitten. Sollten Sie sich diesem Test entziehen, stellt dies einen Grund für Ihre fristlose Entlassung aus dem Dienst beim FBI dar. Sollten Sie sich weigern, jede einzelne Frage wahrheitsgemäß zu beantworten, stellt dies ebenfalls einen Grund für Ihre fristlose Entlassung dar. Haben Sie verstanden?«
Alex nickte und schwieg.
»Diesmal werden Sie sich nicht wieder herauswinden«, fuhr Dodson fort in dem Versuch, eine Reaktion zu provozieren.
Sie ließ sich nichts anmerken.
»Was haben Sie sich nur gedacht, nach Natchez zu fahren?«, fragte Dodson. »Soweit ich es beurteilen kann, haben Sie unten in Mississippi eine Ein-Mann-Show gestartet. Sie haben so viele Vorschriften und Gesetze gebrochen, dass ich nicht mal weiß, wo ich mit dem Aufzählen anfangen soll! Außerdem haben Sie Agenten im Dienst beeinflusst und dazu überredet, ihrerseits Vorschriften und Gesetze zu brechen, und es schmerzt mich zu sagen, dass diese Leute das offenbar aus fehlgeleiteter Loyalität Ihnen gegenüber getan haben. Möchten Sie etwas dazu sagen, Agentin Morse?«
Alex schüttelte den Kopf.
»Hat Ihr Schweigen einen tieferen Sinn?«, erkundigte sich Dodson und starrte sie aus zusammengekniffenen Augen an. »Wollen Sie mir etwa auf diese Weise zu verstehen geben, dass Sie mich verachten?«
Ihre Augen blitzten. Sie hoffte, dass er ihre Gedanken lesen konnte.
Dodson zeigte mit ausgestrecktem Finger auf
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