Leises Gift
Ehepartnern.«
»Und alle sehr reichen Ehepartner waren Mandanten des gleichen Scheidungsanwalts?«
Alex schüttelte den Kopf. »Das habe ich nie gesagt. Ich sagte, dass die überlebenden Ehepartner geschäftliche Verbindungen zu dem betreffenden Scheidungsanwalt hatten – und zwar erst nach dem Tod ihrer jeweiligen Ehepartner. Große Geschäfte. Meist ging es um Dinge, die nichts mit dem eigentlichen Fachgebiet des Anwalts zu tun hatten.«
Chris nickte, doch seine Gedanken waren noch immer bei Alex’ Krebstheorie. »Ich will nicht spitzfindig erscheinen, aber selbst wenn alle diese Patienten an Leukämie starben, reden wir hier von mehreren unterschiedlichen Ätiologien. Und die eigentliche Karzinogenese ist bei einer Vielzahl der Erkrankungen noch nicht geklärt. Wenn wir die Lymphome mit einbeziehen, haben Sie es mit vollkommen unterschiedlichen Zellgruppen zu tun – den erythroiden und den B-Zell-Geschwülsten –, und die Ursachen für diese Krebsformen sind bislang völlig unbekannt. Die Tatsache, dass diese Formen von ›Blutkrebs‹ innerhalb von achtzehn Monaten tödlich verlaufen sind, ist wahrscheinlich die einzige Ähnlichkeit zwischen den Todesfällen. Wahrscheinlich unterscheiden sie sich in jeglicher anderer Hinsicht so sehr voneinander wie ein Bauchspeicheldrüsenkrebs und ein Sarkom. Und wenn die besten Onkologen der Welt nicht wissen, wodurch diese Arten von Krebs hervorgerufen werden – was glauben Sie, wer könnte so eine Krankheit absichtlich und in dem Willen herbeiführen, einen Mord zu begehen?«
»Strahlung verursacht Leukämie«, sagte Alex störrisch. »Man muss kein Genie sein, um jemanden mit Krebs zu infizieren.«
Sie hatte recht, erkannte Chris. Viele Menschen, die Hiroshima zunächst überlebt hatten, waren an den Nachwirkungen der Atombombe gestorben, genauso wie die »Überlebenden« der Tschernobyl-Katastrophe. Marie Curie starb an Leukämie, verursacht durch ihre Experimente mit Radium. Man konnte mit einem, metaphorisch gesprochen, stumpfen Instrument komplizierte genetische Schädigungen, hervorrufen. Chris’ Gedanken sprangen zu dem Problem des Zugangs zu Gamma-Strahlung. Infrage kamen Ärzte, Zahnärzte, Veterinäre – sogar Medizintechniker hatten Zugang zu Röntgenmaschinen oder den radioaktiven Isotopen, die für Strahlentherapien gebraucht wurden. Agentin Morses Theorie basierte auf mehr als nur wilder Spekulation. Und trotzdem erschien ihm die grundlegende Voraussetzung immer noch absurd.
»Es wurde schon früher gemacht, wissen Sie?«, riss Alex ihn aus seinen Gedanken.
»Was?«
»Ende der 1930er Jahre haben die Nazis mit Methoden experimentiert, Juden zu sterilisieren, ohne dass diese davon erfuhren. Sie befahlen den infrage kommenden Personen, an einem Schreibtisch Platz zu nehmen und eine Reihe von Formularen auszufüllen, was etwa fünfzehn Minuten in Anspruch nahm. Während dieser Zeit wurden von drei Seiten hochenergetische Gammastrahlen auf die Genitalien der Probanden abgefeuert. Das Experiment verlief erfolgreich.«
»Mein Gott.«
»Warum könnte in einer Anwaltskanzlei nicht jemand genau das Gleiche tun mit einem ahnungslosen Opfer?«, fuhr Alex fort. »Oder in einer Zahnarztpraxis?«
Chris trat stärker in die Pedale, doch er schwieg beharrlich.
»Sie wissen, dass Forscher in Tierversuchslaboren absichtlich Krebs hervorrufen, nicht wahr?«
»Selbstverständlich. Und zwar, indem sie den Tieren karzinogene Substanzen impfen. Doch derartige Chemikalien kann man zurückverfolgen, Agentin Morse. Forensisch, meine ich.«
Sie bedachte ihn mit einem skeptischen Blick. »In einer idealen Welt vielleicht. Aber Sie sagten selbst, es dauert eine Weile, bis man am Krebs stirbt. Nach achtzehn Monaten sind sämtliche Spuren des Krebs erregenden Stoffes längst aus dem Körper ausgeschieden. Benzol ist ein gutes Beispiel.«
Chris runzelte nachdenklich die Stirn. »Benzol verursacht Lungenkrebs, nicht wahr?«
»Außerdem Leukämie und multiple Myelome«, ergänzte sie. »Man hat es herausgefunden, indem man in Ohio und in China Fabrikarbeiter mit geringer Benzol-Belastung untersucht hat.«
Sie hat ihre Hausaufgaben gemacht, überlegte Chris. Oder jemand anders. »Haben Sie umfangreiche toxikologische Untersuchungen bei all diesen Todesfällen vorgenommen?«
»So gut wie keine.«
»Warum nicht?«, fragte er verwundert.
»Mehrere der Toten wurden eingeäschert, ehe wir Verdacht geschöpft haben.«
»Wie praktisch.«
»Und in den anderen Fällen
Weitere Kostenlose Bücher