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Leitstrahl für Aldebaran

Leitstrahl für Aldebaran

Titel: Leitstrahl für Aldebaran
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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Messungen... Aber wenn keine Alarmsituation vorlag, war es nicht üblich, bei diesem ersten Essen über die Arbeit zu sprechen. Und obwohl das nur ein Brauch war und im Grunde niemand mehr wußte, wie er eigentlich entstanden war, hielten sie sich doch immer daran. Auf Raumfahrt, wo das tägliche Leben ja nicht wie auf der Erde von einer großen Zahl natürlicher oder gesellschaftlicher Rhythmen, Anforderungen und Bedürfnissen geregelt wird, spielen solche Bräuche eine viel größere Rolle als zu Haus, und selbst rebellische Naturen respektieren sie gewöhnlich.
    Es mußte schon etwas Außergewöhnliches sein, das die beiden Frauen veranlaßte, diesen Brauch zu provozieren, und die beiden Männer fragten sich selbstverständlich, was das wohl sei - nur hielt Toliman sich aus Disziplin zurück, er mußte ja Vorbild sein, während Rigel zu phlegmatisch war, auf irgendeine Art von Provokation hereinzufallen.
    Es war schließlich Gemma, die die Spannung nicht mehr aushielt. Immer wieder sah sie Mira an, anfangs todernst, bald aber zuckte es um die Augenwinkel, dann in den Mundwinkeln, schließlich prustete sie fröhlich los, worauf Mira schrill und etwas nervös auflachte. Es paßte gar nicht zu ihr, aber sie tat das manchmal, vor allem wohl dann, wenn eine Spannung sich nicht in Tätigkeit entladen konnte.
    »Wir sind sowieso beim Nachtisch, also erzählt schon«, sagte Toliman. Mira warf ihm einen schnellen Blick zu, sie durchschaute diese Aufforderung als einen Versuch Tolimans, seine Autorität zu retten - gesprochen worden wäre jetzt auf jeden Fall.
    Sie setzte wieder ein ernstes Gesicht auf, und auch Gemma hatte sich inzwischen gefaßt.
    »Entschuldigt den Ausbruch«, sagte Mira, »die Messungen waren mit ziemlichen Aufregungen verbunden. Ich hatte schon früher den Verdacht, daß wir.. nun also, daß wir zeitlich versetzt worden sind. Erstens, weil wir räumlich nicht so sehr weit entfernt sind, wie es bei diesem Energieaufwand der Fall sein müßte. Und vor allem, weil die vom Schutzfeld verbrauchte Energie ja irgendeine Arbeit verrichtet haben mußte. Also haben wir uns auf die Veränderlichen gestürzt. Ich meine, das Verfahren ist euch doch klar? Wir können feststellen, an welcher Stelle seiner Periode sich jeder veränderliche Stern befand, als unser Schiff in die Anomalie geriet. Wenn wir mehrere Veränderliche jetzt messen, sehen wir, ob wir noch in der Zeit liegen oder zeitlich versetzt sind. Wir haben mit MiraSternen angefangen, nein, nicht meinetwegen, Rigel, sondern weil die so schöne lange Perioden haben. Andererseits sind sie in ihrer Periodizität nicht sehr zuverlässig, also nahmen wir noch ein paar Delta-Cephei-Sterne hinzu.«
    »Hilfe, mach’s kurz!« stöhnte Rigel, der für Astronomie und Navigation nicht viel übrig hatte.
    »Das Problem«, fuhr Mira fort, ohne sich stören zu lassen, »besteht nun darin: Die Summe mehrerer periodischer Kurven ist selbst wieder periodisch, soviel Mathe wirst du doch noch drauf haben, Rigel, oder? Wir kamen mit unseren Messungen auf eine Periode von fünfeinhalb Jahren, und jede weitere Messung an einem anderen Stern bestätigt diese Periode. Exakter: Der Zeitpunkt, an dem wir uns jetzt befinden, liegt entweder fünf Jahre zukünftig oder ein halbes Jahr vergangen, verglichen mit der Zeit beim Eintritt in die Anomalie. Halt, das war noch nicht genau - diese beiden Punkte sind die nächstmöglichen, aber wenn man nur nach diesen Messungen geht, können wir ebensogut zehneinhalb oder sechzehn Jahre und so weiter voraus oder sechs oder elfeinhalb und so weiter zurück sein. Wir wußten also nur die Periode. Zuerst sind wir von dem Gedanken ausgegangen, daß wir in der Zukunft gelandet sind, denn eine schnellere Vorwärtsbewegung in der Zeit ist immerhin leichter vorstellbar als eine absolute Rückwärtsbewegung. Versteht ihr, was das bedeutet hätte? ALDEBARAN wäre schon vor fünf Jahren zerstört worden, und wir hätten nicht nur keine Aufgabe mehr, sondern auch keine Möglichkeit, jemals zur Erde zurückzukehren.« Mira machte eine Pause, nicht um ihren Vortrag effektvoller zu gestalten, sondern weil sie sich an all die Zweifel und Sorgen erinnerte, die ihr durch den Kopf gegangen oder gestürmt waren. Rigel hatte davor keinen Respekt, er brummte: »Mädchen, wir begreifen alles, daß es schwer war und daß du doch eine Lösung gefunden hast, und wenn du willst, küssen wir dich alle dafür, aber nun sag doch endlich, welche.« Mira warf ihm einen
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