Leitstrahl für Aldebaran
Mira sich mit Selbstvorwürfen, weil sie Toliman diesem Angriff ausgesetzt hatte, was sinnlos war, denn niemand hatte ihn voraussehen können; und mit stillen Vorwürfen gegen Toliman, weil der nichts einsah, das über eine sozusagen momentane Kausalität hinausging, aber auch das war sinnlos, denn sie war es ja, die ihn nicht hatte überzeugen können. Und vielleicht gerade, weil sie wußte, daß alle diese Vorwürfe sinnlos waren, quälten sie sie um so mehr. Am späten Nachmittag erst gelang es ihr, das alles abzuschütteln und an den Abend zu denken, den sie sich freundlicher erhoffte. Aber als sie die Trennwand hinabdrückte, wandte Toliman sich ihr zu und sagte: »Ich muß mit dir sprechen, hör zu und unterbrich mich bitte nicht. Was ich jetzt sage, habe ich mir fest vorgenommen, und nur wirklich stichhaltige Argumente könnten mich davon abbringen. Solche, die ich selbst noch nicht bedacht habe. Ich werde morgen früh den Schutzanzug ausziehen, die Schleuse verlassen und einige Tage draußen leben, die Frist muß Gemma angeben. Wenn ich gesund bleibe, folgt der nächste. Nein, sage nichts, ich weiß, was du sagen willst, aber.«
Toliman wußte keineswegs, was Mira sagen wollte, denn sie wollte diesen Abend retten und an sein schreckliches Vorhaben erst morgen denken, schließlich bestand die Gefahr, daß er dieses Experiment mit dem Leben bezahlen könnte - aber Toliman hatte sich eben gedacht, Mira würde fragen, warum gerade er, und so erläuterte er wortreich und ausführlich, warum: Für die Erfüllung ihrer Aufgabe sei er am ehesten entbehrlich, einen Navigator brauche man nicht mehr, dagegen seien die Haupt- und Nebenarbeitsgebiete aller anderen unentbehrlich, und sie, Mira, würde eine keineswegs schlechte Leiterin abgeben, und der Versuch müsse jetzt unternommen werden, jetzt und nicht später, erstens, weil es egal sei, ob die Gefahr fünf oder zwei Komma fünf Prozent betrüge, zweitens, weil man endlich eine positive Energiebilanz brauche und die nur möglich sei, wenn man das Lebenserhaltungssystem abschalten und konservieren könne, und drittens zeige ja das Verhalten von Rigel heute, daß man auch psychische Katastrophen in Rechnung stellen müsse, diese Reaktion sei nämlich aus gar keiner anderen Ursache erklärbar als aus eben diesem Eingesperrtsein, das man unterwegs nicht empfinde, das sich aber einstelle, wenn man gelandet sei und das Schiff nicht verlassen dürfe.
Mira unternahm nicht das geringste, um seinen Redefluß zu stoppen oder gar zu versuchen, Toliman umzustimmen. Im Gegenteil, nach und nach stieg eine unangenehme Gefühlsbewegung in ihr auf, und als sie genau darauf achtete, bemerkte sie, daß sie beleidigt war. Dachte denn dieser Trottel, sie würde seine Motive nicht auch ohne ein endloses Referat verstehen? Dachte er denn, sie könne keinen Stolz empfinden auf seinen Mut? Was dachte er eigentlich überhaupt von ihr? Und sie bemerkte nicht, daß sie sich damit abzuriegeln begann.
Drei Tage und drei Nächte blieb Toliman draußen. Er selbst war ruhig und ausgeglichen. Mira schlich wie ein Gespenst im Schiff umher und tat nur das Nötigste. Rigel ging es nicht viel besser, dem Aussehen nach, denn natürlich konnte er sich denken, daß sein Ausbruch Tolimans Entschluß zwar nicht verursacht, aber doch ausgelöst hatte; und außerdem litt er unter Gemmas Verhalten. Die immer Fröhliche setzte sich in irgendeine Ecke und stierte vor sich hin, dann sprang sie plötzlich auf, suchte mit fliegenden Händen in ihren Aufzeichnungen und Notizen, das automatische Protokoll und die Datenbank durften ja nicht mehr eingeschaltet werden - sie lebte in der ständigen Angst, bei ihren Arbeiten irgend etwas übersehen, irgend etwas falsch beurteilt zu haben, irgendeinen Fehler gemacht zu haben, der jetzt Toliman in höchste Gefahr bringen konnte. Zum ersten Mal erlebte sie, daß von ihrer Arbeit, ihrer vergangenen und nicht mehr korrigierbaren Arbeit, das Leben eines anderen abhing.
Toliman gab alle sechs Stunden die gemessenen Körperwerte an, am Tage spazierte er hierhin und dorthin, kehrte aber sofort um, wenn das Schiff ihn ermahnte - er wollte die Gefährten wirklich nicht noch mehr ängstigen. Immerhin, nun mußten sie sich doch langsam beruhigen, auch am zweiten Tag traten keine Abweichungen auf, nichts, was auf eine Infektion oder allergische Reaktion deutete.
Drei Tage hatte Gemma als ausreichende Frist gesetzt. Natürlich konnte es Infektionen mit längerer Inkubationszeit geben,
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