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Leitstrahl für Aldebaran

Leitstrahl für Aldebaran

Titel: Leitstrahl für Aldebaran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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Verantwortungsgefühls nähergehen als die Krankheit irgendeines andern, sonst wäre er einfach kein Mensch. Aber er würde das nicht wahrhaben wollen, würde mit sich selbst im Streit liegen, würde unsicher werden, nicht nur darin, sondern in allem. Das alles durfte nicht geschehen. Die Krankheit würde vorbeigehen.
    Und wenn nicht? Ach was, sie würde vorbeigehen. Mira hatte plötzlich eine Menge kluger Sprüche im Kopf wie: Was von selbst kommt, muß von selbst wieder gehen. Oder: Schwere Krankheiten fangen leise an. Es fiel ihr selbst auf, daß sie diese Weisheiten nicht aus eigener Erfahrung geschöpft, sondern wohl in verschiedenen Gesprächen aufgelesen hatte. Wenn ich schon so etwas brauche, um mich aufrecht zu halten, dachte sie, dann muß es doch ziemlich schlimm sein. Aber andererseits, tröstete sie sich, wenn ich noch selbstkritisch genug denken kann, um das zu merken, kann es so ganz schlimm auch nicht sein.
    Über alldem schlief sie ein.
    Gemma, die bei ihr wachte, erlebte zum ersten Mal bewußt, wie finster die Nächte auf diesem mondlosen Planeten waren. Aber nein, dachte sie dann, die Mondlosigkeit kann nicht die einzige Ursache sein, immerhin gibt es auf der Erde ja auch die Zeit des Neumonds, und auch um diese Zeit, so schien es ihr in der Erinnerung, waren die Nächte daheim nicht so ganz und gar lichtlos. Oder ob sie sich das bloß einbildete?
    Hier am Krankenbett sitzend, den jetzt gleichmäßigen Atemzügen ihrer Patientin lauschend, erschien ihr diese Dunkelheit ungeheuer wichtig. Sollte das vielleicht, so grübelte sie weiter, eine Folge von seelischen Belastungen sein? Freilich, sie fühlte sich eigentlich nicht belastet, aber es muß ja auch nicht alles fühlbar werden; nehmen wir nur das Wissen, daß wir zu dieser Zeit doppelt existieren - man denkt nur noch selten daran, aber heißt es denn auch, daß dieses Wissen nicht unbewußt weiter wirkt? Oder verändert die Zeitverschiebung vielleicht überhaupt die Wahrnehmungsfähigkeit, oder richtiger: die Stärke der Sinneseindrücke? Nein, das war wohl Unsinn. Denn hinterher, wenn alles vorbei war, dann würden ja in der Erinnerung die parallelgelaufenen Zeiten als nacheinander erlebt erscheinen. Abgesehen davon, daß sie jetzt an Bord der ALDEBARAN nichts erlebten, weil sie im Dauerschlaf lagen. Ein irres Durcheinander.
    Mitternacht. Gemma sah es auf der altertümlichen Uhr, die Rigel irgendwo im Materiallager aufgetrieben hatte, mit Aufziehmechanik und Zeigern und immer leuchtenden Ziffern. Wer konnte wissen, für welche unvorstellbaren Zwecke so etwas auf die Inventarliste geraten war - hier und jetzt jedenfalls stellte sich das antiquierte Ungetüm als höchster Luxus heraus.
    Mitternacht also, und Mira schien ganz ruhig zu schlafen. Ihre Atemzüge waren flach und gleichmäßig. Ob sie, Gemma, nicht doch ein bißchen die Augen schließen konnte?
    Ein entsetzlicher Schrei ließ sie hochfahren, und das Röcheln, das Mira danach von sich gab, klang nicht minder erschreckend.
    Jetzt blieb keine Wahl. Gemma sprang auf und schaltete das Licht ein. Miras Gesicht war verzerrt, aber anscheinend nicht von der plötzlichen Blendung. Sie schien das Licht gar nicht wahrzunehmen, die Augen waren glasig, den Kopf bewegte sie ruckartig hin und her, der Körper bäumte sich bei jedem
    Atemzug auf, als koste das Röcheln die letzte Kraft.
    Dann klang das Röcheln ab, aber Mira begann, um sich zu schlagen. Die beiden Männer waren aufgesprungen und halfen Gemma, die Kranke festzuhalten. Während sie alle drei das Toben unterdrückten, redete Gemma beruhigend auf die Patientin ein. Endlich wurde auch das Toben schwächer, der Zustand Miras normalisierte sich. Gemma blickte auf die Uhr - seit dem Lichteinschalten waren elf Minuten vergangen, sie hatte geglaubt, es wäre mindestens eine Stunde gewesen.
    »Mira muß an den Medicom«, sagte sie erschöpft.
    Erst als eine Zeitlang niemand etwas sagte, stutzte Gemma und sah auf. Tolimans Gesicht war ausdruckslos, Rigel sah ihn forschend an. Und jetzt erst begriff Gemma, daß ihre Forderung nicht als selbstverständlich aufgenommen wurde.
    Gemma war so verwirrt, daß sie einen Augenblick lang nicht wußte, was sie tun sollte. Zu oft schon hatten sie oder andere Toliman gebeten - in diesem Falle bitten und dabei von vornherein mit einer Absage rechnen zu müssen schien ihr einfach unwürdig. Eher noch war sie bereit, sich über alles hinwegzusetzen, was Kosmonautentradition und Raumfahrertraining an

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