Leitstrahl für Aldebaran
die muß Ergebnis einer Wechselwirkung sein. Der Tanz ist ein kollektives Ereignis. Da sie dünn verteilt sind, können sie nur über ein Feld aufeinander einwirken, nicht durch direkten Kontakt oder durch Austausch von chemischen Stoffen wie in einer wäßrigen Lösung. Anzunehmen, daß sie dabei die Geschlechtsreife erlangen. Vielleicht sind die dunklen Flecken und Strukturen, an denen wir die Bewegung überhaupt festgestellt haben, nicht ganz ausgereifte Partien, vielleicht auch macht jedes Teilchen mehrere Aufschwünge mit. Es sind also, ich wiederhole, weil das gleich sehr wichtig wird, es sind also elektrische oder elektromagnetische Wirkungen, die sie aufeinander ausüben. Dann aber rückt die Entstehung des Theta-Rhythmus in ein ganz anderes Licht. Toliman hat gesagt, die Übereinstimmung mit der Anomalie kann nicht zufällig sein. Aber zugleich nimmt er ohne die geringste Verwunderung an, daß der Anomalie-Rhythmus zufällig mit dem Theta-Rhythmus unseres Gehirns übereinstimmt. Ich glaube auch, daß das Zufall ist, allerdings nur, was die Anomalie betrifft. Aber zwischen diesen Erscheinungen und unserem Gehirn gibt es doch Parallelen! In beiden Fällen entsteht der Rhythmus durch die kollektive Tätigkeit von Milliarden relativ selbständiger Zellen, hier der Gehirnsubstanz, dort der Mikroorganismus, und wenn wir auch nicht sagen können, wie dieser Rhythmus genau zustande kommt - die Analogie sticht doch ins Auge! Vielleicht ist dieser Rhythmus universell? Ja, vielleicht entwickeln diese Mikroorganismen sogar Vorgänge, Potentiale, informative Kontakte, die so etwas wie höhere Nerventätigkeit hervorbringen. Oder doch vielleicht irgendwann hervorbringen können.«
Rigel schüttelte den Kopf und wollte etwas sagen, aber Toliman ließ ihn nicht zu Wort kommen, und als Gemma dann ihre Version entwickelte, war er froh, daß er nichts gesagt hatte. Die knüpfte nämlich an Mira an.
»Mich hat Miras Erzählung angerührt wie Poesie«, sagte sie, »wie Musik. Und trotzdem, manches daran bestätigt mich in meiner Geschichte. Ich wäre zwar nie auf so etwas wie den Hochzeitstanz gekommen, aber was ich mir zusammenspekuliert habe, ist sicherlich nicht weniger phantastisch, ich fange nur ganz nüchtern an. Alle Fakten, die wir kennen, weisen die Erscheinungen als dissipative Strukturen aus, als Strukturen, die unter ständigem Wechsel der Substanz, unter Verbrauch und Zerstreuung von Energie ihre Form und ihren Zusammenhang bewahren, sich also in einem stabilen Ungleichgewicht halten. Innerhalb bestimmter Grenzen selbstverständlich. Sie sind stabil gegen Windeinflüsse. Sie treten in zwei Formen auf und haben eine innere Bewegung, die offenbar Stoffaustausch darstellt. Sie strahlen Energie aus, und sie existieren nur unter Energiezufuhr - Sonnenenergie und vielleicht noch andere Quellen, die wir nicht kennen. Und, das haben wir bisher vielleicht zu wenig berücksichtigt, sie treten nicht nur einmal auf, sondern anscheinend immer dann, wenn die gleichen Bedingungen bestehen, die wir nicht alle kennen, aber zu denen auf jeden Fall Sonnenlicht gehört.
Zugleich aber haben wir festgestellt, daß biochemische Substanzen sicher in ihnen vorkommen - und Mikroorganismen mit großer Wahrscheinlichkeit. Eine normale Form des Lebens auf diesem Planeten? Das kann freilich sein. Aber ich habe das Gefühl, dazu sind sie zu sehr von den anderen Lebensformen isoliert. Daß sie zum Teil lebensfeindlich sind - oder feindlich gegen höheres tierisches Leben - ist nicht so gravierend, jede relativ geschlossene Biozönose ist für die eine oder andere Lebensform feindlich. Nein, ihre Isolierung ist ein viel gewichtigerer Umstand. Gewöhnlich existieren Mikroorganismen nicht ohne die Mitwirkung von Pflanzen und Tieren wie auch umgekehrt - ihr Stoffwechsel hängt zusammen und ist aufeinander abgestimmt. Aber keinerlei Pflanzen oder Tiere wurden beobachtet - Pflanzen auch nicht, ist euch das nicht aufgefallen? Im Klippendreieck ist auch zu der Zeit, wo die Erscheinungen nicht auftreten, kein grüner Schimmer zu sehen.
Handelt es sich um planetfremdes Leben? Das ist so eine Sache, lassen wir das Ja oder Nein erst mal offen. Grundsätzlich verschiedene Lebensstrukturen sind möglich, aber sie dürften normalerweise nur in statu nascendi auftreten, im Augenblick der Entstehung des Lebens. Dann aber setzt sich ein einziger Grundchemismus, eine Grundstruktur durch, und zwar die stärkste, am besten angepaßte, die die anderen verspeist.
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