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Leitstrahl für Aldebaran

Leitstrahl für Aldebaran

Titel: Leitstrahl für Aldebaran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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freilich, die er absichtlich so sachlich karg gehalten hatte. Wenn man ihr die Zügel schießen ließe. Nun, nicht alle Blütenträume reiften, aber zum Glück erfüllten sich auch nicht alle Schreckensträume.
    Seitdem war Toliman, der früher die Abgeschlossenheit im Tal fast wie eine Religion gepredigt hatte, an der Erforschung der Umgebung ebenso interessiert wie die andern, sogar noch brennender. Denn immer noch quälte ihn die Frage, ob es nicht zwischen den Extremen, die neulich zur Debatte gestanden hatten, irgendwelche schleichweghaften Kompromisse gäbe. Aber wenn es wirklich welche geben sollte, dann mußte man sie bald finden, schnell, möglichst gleich, denn dann mußte man die Arbeit darauf einstellen, je eher, je besser. Deswegen drängte es ihn selbst in die Umgebung.
    Die Expedition oder, wie sie sich angewöhnt hatten zu sagen, der Ausflug unterschied sich in einigen Zügen vom ersten. Das Ziel lag viel näher, etwa drei Stunden Fußmarsch entfernt, man brauchte also nicht zu übernachten und hatte deshalb auch weit weniger Gepäck. Und dann hatten sie für den optisch einsehbaren Teil des Weges von vornherein Funkverbindung über den Ballon eingeplant - es war einfach effektiver, wenn man sich über bestimmte Dinge sofort verständigen oder beraten konnte; und der Ballon hatte ja auch schon viel mehr geleistet, als Toliman ihm je zugetraut hätte. Alle Messungen und Informationen hatten nicht ein Joule zusätzliche Energie gekostet, alles war mit einem Sonnenkollektor bestritten worden, den der Ballon auch noch trug - dank Rigels Meisterschaft im Basteln.
    Gemma und Toliman gingen morgens los. Mira winkte ihnen nach, sie war eben im Begriff schlafen zu gehen, die ganze Nacht hatte sie in ihrem Observatorium gesessen und dann noch ein paar Stunden gerechnet. Es war kein trauriges Winken, selbstverständlich nicht, warum auch - eher ein vergnügtes. Und doch war Mira nachdenklich. Dieses Winken machte ihr bewußt, wieviel sich in den letzten Tagen verändert hatte - jetzt war Toliman derjenige, der nach draußen drängte, und sie fühlte sich von ihren Pflichten hier angebunden. Und das war ja nur äußerlich, nur das äußere Zeichen oder Signal oder Äquivalent für etwas Innerliches, das wenigstens sie ganz deutlich spürte - ob Toliman es spürte, wußte sie nicht zu sagen, und auch das war neu: Bisher hatte sie immer gewußt, was ihn bewegte. Oder hatte sie sich das nur eingebildet? Vielleicht. Vielleicht hatte sie selbst zu flach empfunden, um bei ihm in die Tiefe zu sehen. Merkwürdig, daß dieses Nichtwissen sie nicht abstieß und abkühlte, sondern anzog und wärmte.
    Gemma und Toliman gingen am Bach entlang, das Biest war ein Stück vorangetrabt und weidete jetzt in Blickweite einige Büsche ab, die sich hier und da an geeigneten Stellen auf den Seitenwänden des Tals festgeklammert hatten. Sie marschierten, weil das Biest merkwürdigerweise zwar Gemma, aber nicht Toliman hatte tragen wollen, und Gemma hätte sich geschämt, den Gefährten allein laufen zu lassen - wenigstens jetzt, zu Beginn des Ausflugs. Ein paarmal hatte sie schon versucht, ein munteres Geplauder zu beginnen, sie waren ja noch im bekannten Teil des Tals, aber Toliman hatte immer nur sehr kurz, wenn auch nicht unfreundlich geantwortet. Da hatte sie dann begriffen, daß er beschäftigt war. Denn Toliman kannte ja diesen Teil des Tals noch nicht, er blickte sich aufmerksam um, und Gemma wußte, daß er ein fotografisches Gedächtnis besaß. Er würde später alles, was er gesehen hatte, fast maßstabgerecht reproduzieren können, gleich, ob als Riß oder als perspektivische Grafik. Die meisten Navigatoren entwickelten und trainierten diese Fertigkeit, schließlich träumte jeder davon, einmal auf einem belebten Planeten zu landen. Eben für solche Fälle hatte sie, Gemma, ja auch ihre biologischen Kenntnisse gepflegt. Aber nun, da dieser Traum in Erfüllung gegangen war, unerwartet, war der Planet zur Nebensache geworden, die nur so weit interessierte, wie sie das Überleben und die Lösung der Hauptaufgabe förderte oder hinderte. Trotzdem war Gemma dankbar, daß nun wenigstens die Enge etwas gelockert war, daß sie einen kleinen Schritt weiter in die Natur wagen durften; oder genauer: Sie war dankbar, daß dies in Übereinstimmung geschah, ohne lang anhaltende Auseinandersetzungen und Umschichtungen im Kollektiv. Gemma gehörte zu den Naturen, die ihre größte Leistungsfähigkeit entwickeln, wenn Einmütigkeit herrscht

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