Lektionen der Leidenschaft: Roman (German Edition)
sich eine Antwort zu verkneifen.
Sein Wechsel zu einer geschäftsmäßigen Haltung schien so plötzlich gekommen zu sein wie ein vorüberziehender Gewittersturm im Sommer. Er fuhr fort mit Erläuterungen, was im Einzelnen zu tun sei und wie sie vorgehen sollte.
Der Karton, der erste von vielen, wie er sagte, enthielt über die Jahre geschlossene Verträge bezüglich aller Dinge, die mit der Pferdezucht zusammenhingen. Er zeigte ihr, wo und wie sie die Unterlagen ablegen sollte: in einem großen Schrank mit sechs Schubladen, die wiederum durch metallene Trennflächen unterteilt waren. Falls Fragen auftauchten, wollte er auf jeden Fall konsultiert werden. Sie hörte es mit Erleichterung, denn das bedeutete ja wohl, dass er sich nicht ständig im Raum aufzuhalten gedachte. Ganz gleich, wie groß das Arbeitszimmer auch sein mochte– mit ihm zusammen würde sie sich darin wie in einer Besenkammer fühlen.
» Ich bin bei den Stallungen. Falls Sie mich dringend benötigen.«
Sofort wurde ihr Blick misstrauisch. Obwohl er nicht im Geringsten zweideutig geklungen hatte, verlangte seine Wortwahl nach einer scharfen Zurechtweisung. Aber bevor sie sich eine passende Antwort zurechtlegen konnte, hatte er das Zimmer schon halb durchquert, und Sekunden später hörte sie nur noch das verhallende Echo seiner Schritte.
Amelia stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Wie abwesend ließ sie den Blick durch den großen Raum schweifen. Der Einfluss des französischen Rokoko war an der geschwungenen Rückenlehne des Sofas und am zwetschgenfarbenen Brokat der Stühle zu erkennen, die Teil einer gemütlichen Sitzecke waren, die sich um den mit schwarzem Walnussholz verkleideten Kamin gruppierte. Vier Bogenfenster, an denen Vorhänge mit goldfarbenen Quasten hingen, verteilten sich in regelmäßigen Abständen über die nördliche und östliche Wand, sodass man tagsüber kaum künstliches Licht brauchte. Die hohen Bücherregale waren fest eingebaut, und insbesondere sie mit ihrem dunklen Holz und den klaren Konturen verliehen dem Raum eine männliche Atmosphäre.
Amelia umrundete den Arbeitstisch, der ihr zugewiesen worden war, und nahm auf dem hochlehnigen Stuhl davor Platz, zog eine Handvoll Papiere aus dem Karton und überflog das oberste Blatt. Es war altersbedingt verblasst und verschmutzt, und ihre Augen schmerzten, als sie versuchte, den Namen auf dem Vertrag zu entziffern. Es half nichts. Warum auf ein feierliches Freudenfeuer warten? Am besten, wenn sie es gleich hier und jetzt den Flammen übergab…
Amelia wurde klar, dass ein langer und frustrierender Tag vor ihr lag. Mehrere Tage. Wenn nicht sogar Wochen. Noch heute Abend würde sie Lord Clayborough einen Brief schreiben und sich gleich morgen mit diversen Fluchtmöglichkeiten vertraut machen, die das ausgedehnte Anwesen ihr bot.
Falls es so etwas wie ein Fegefeuer aus tintenverschmiertem Papier überhaupt gab, so konnte Amelia mit Fug und Recht behaupten, dass sie gerade in einem solchen schmorte. Zäh zog sich der Tag hin, unterbrochen nur vom Mittagessen und einer kleinen Zwischenmahlzeit am Nachmittag, die man ihr gebracht hatte. Als die Uhr sechs schlug, hatte sie das Gefühl, einen schrecklichen Tag hinter sich zu haben, an dem es nur einen Lichtblick gab. Lord Armstrong war nicht zurückgekehrt, um die Fortschritte ihrer Arbeit zu überprüfen.
Als sie sich an ihrem Platz aufrichtete, öffnete sich die Tür. Amelia drehte sich um und erschrak, als sie den Mann, an den sie soeben gedacht hatte, höchstpersönlich dort stehen sah. Jetzt allerdings formvollendet gekleidet mit Halstuch, Weste und Jackett. Plötzlich geisterte ihr das Bild des antiken griechischen Diskuswerfers durch den Kopf, nur eben nicht nackt, sondern bekleidet. Genauso wie diese Skulptur würde Thomas Armstrong ohne alles aussehen mit seinen schlanken, sehnigen Muskeln unter goldfarben schimmernder Haut. Amelia hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt, weil sie es sich wieder einmal erlaubt hatte, solchen Gedanken nachzuhängen. Was war nur in sie gefahren? Gutes Aussehen hatte sie schließlich bislang nie beeindruckt und beeindruckte sie immer noch nicht.
» Wie sind Sie bisher zurechtgekommen?« Auf dem Weg zum Tisch warf er ihr einen Blick zu.
» So gut wie erwartet, nehme ich an«, erwiderte sie knapp, bevor sie den letzten Packen Papiere ordentlich stapelte. » Den Rest erledige ich morgen Vormittag.« Sie zog ein Taschentuch aus der Schublade und wischte sich die Tinte von ihren
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