Lelord, Francois
kurz
auf.
»Also kann
das nur eines heißen: Ihr Freund hat sich schmutziges Geld geangelt.«
»Schmutziges
Geld?«
»Er hat
Diebe bestohlen, wenn Sie so wollen. Oder noch größere Übeltäter.«
Plötzlich
war Hector sehr glücklich, und es war nicht nur die Wirkung des Makgeolli, der
in seinen Adern perlte. Sein Freund Edouard war doch noch derselbe wie früher!
Er hatte Leute bestohlen, die es verdienten - und wahrscheinlich hatte er es
getan, weil er anderen helfen wollte, die es ebenso verdienten, Jean-Michel
beispielsweise. Durch die beschlagenen Fensterscheiben sah Hector, wie die
Kellnerin in dem kleinen Garten den Deckel eines Tonkruges hochhob und mit
einer langen Kelle offensichtlich Makgeolli herausschöpfte.
»Ich freue
mich sehr«, sagte er.
Jean-Marcel
schaute ihn an, als wäre Hector ein bisschen geistesgestört.
»Ich weiß
nicht, ob Sie das wirklich tun sollten. Von so etwas lässt man lieber die
Finger, besonders wenn man verheiratet ist und Familienvater.«
»Ja, aber
für mich ist es trotzdem eine gute Nachricht!«
»Na, dann
nehmen wir sie doch einfach als solche«, sagte Jean-Marcel und füllte ihnen
grinsend noch einmal die Trinkschalen aus der Terrine, welche die Kellnerin
gerade gebracht hatte. Sie tranken noch ein wenig, und dann kam Jean-Marcel auf
ein Thema zu sprechen, das zwei Männer im Ausland gar nicht umgehen können: die
Frauen des Landes.
»Feuer
unterm Eis«, sagte er.
Es war
seltsam, wieder solche Junggesellengespräche zu führen wie zu den Zeiten, als
sie sich kennengelernt hatten. Aber Hector begann diese Unterhaltung noch
riskanter zu finden als das Gespräch über Edouards Gelder, denn sie wirbelte
Emotionen auf, die er lieber vermeiden wollte. Beide schwiegen einen Moment,
und dann merkte Hector, dass Jean-Marcel ihn besorgt ansah.
»Ich mache
mir Sorgen um Sie. Folgen Sie den Ratschlägen Ihres Freundes, er meint es gut
mit Ihnen - lassen Sie ihn in Ruhe, und kehren Sie nach Hause zurück, so rasch
Sie können.«
Und Hector
wurde klar, dass Jean-Marcel selbst ein richtiger Freund war, auch wenn sie
sich nicht oft trafen und noch keine Zeit gehabt hatten, einander wirklich
nahezukommen - und wahrscheinlich würden sie niemals die nötige Zeit dafür
haben ... Als er Claras Mail noch einmal gelesen hatte, war ihm etwas aus dem
Philosophieunterricht wieder eingefallen: Aristoteles hatte gesagt, dass zwei
Menschen sich nur miteinander befreunden konnten, wenn sie zusammen schon
»einige Scheffel Salz gegessen«, also oft genug mittags oder abends gemeinsam
am Tisch gesessen hatten, um sich kennenzulernen.
Er nahm
sich vor, später eine neue Beobachtung in sein Notizbüchlein einzutragen.
Beobachtung
Nr. 7: Ein Freund ist jemand, der sich Sorgen um dich macht.
Hector ist vertrauenswürdig
Hector sagte sich, dass Jean-Marcel bestimmt auch seine
Vorstellungen über die Freundschaft hatte, selbst wenn er kein Spezialist in
Sachen Aristoteles und Thomas von Aquin war. Er erklärte ihm, worüber er in
letzter Zeit nachdachte, und Jean-Marcel fand es interessant.
»In
unserem Beruf ist es schwierig, Freunde zu haben. Ich muss bei jeder neuen
Begegnung auf der Hut sein, sogar bei solchen, die vollkommen harmlos aussehen
oder anscheinend ganz zufällig zustande kommen - vielleicht ist es ja eine
Falle. Übrigens weiß außer meinen Kollegen auch niemand, womit genau ich meine Brötchen
verdiene. Ich kann mich nie jemandem anvertrauen. Das grenzt den Raum für
Freundschaften ein. Und dann verschafft es dir auch ein Gefühl von Überlegenheit
über deine Bekannten, wenn du weißt, dass du mehr über sie weißt, als sie über
dich wissen. Das kann richtig ungesund werden.«
»Aber mit
den Kollegen?«
»Ja,
natürlich, mit ihnen, da braucht man sich nicht groß zu erklären. Aber ich
würde sagen, dass sie eher Kameraden sind als Freunde.«
Hector fiel
wieder ein, dass Jean-Michel genau das Gleiche gesagt hatte.
»Im Grunde
ist Freundschaft in meinem Beruf vor allem eine Quelle von Scherereien«, sagte
Jean-Marcel, und es klang so, als stiegen dabei böse Erinnerungen in ihm auf.
»Scherereien
welcher Art?«
»Als
Offizier im Nachrichtendienst bringt man die Einheimischen oft dazu, Risiken
einzugehen und geheime Informationen zu liefern, indem man Freundschaft mit
ihnen schließt. Als Motiv für einen Landesverrat werden stets Geld oder eine Ideologie
oder Erpressung angeführt, und natürlich stimmt das meistens, aber manche
Menschen sind auch bereit,
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