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Lemberger Leiche

Lemberger Leiche

Titel: Lemberger Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Ramge
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Haus?«
    »Bedaure«, sagte Herr Kleiber. »Frau Kurtz befindet sich seit Montag im Urlaub.«
    Er lächelte zuvorkommend und sah Irma erwartungsvoll an, als ob sie angekündigt hätte, ein Konto zu eröffnen. Dann fiel sein Blick auf die Dienstmarke, die noch auf der Theke lag. Er starrte überrascht auf die ovale Messingscheibe mit dem Polizeistern und der Gravur
Kriminalpolizei
. Er räusperte sich und ruckte an seinem Schlips, als wäre der plötzlich zu eng.
    Irma steckte die Dienstmarke wieder ein und sagte: »Eichhorn. Ich bin von der Stuttgarter Mordkommission.«
    »Wieso Mordkommission? Es war doch ein Bankraub! Die Polizei hat uns alle schon ausgefragt.«
    Unter seinem argwöhnischen Blick wurde sich Irma ihrer zerzausten Haare bewusst. Sie strich die Strähnen, die sich auf der ungestümen Fahrradtour aus dem Gummiband ihres Pferdeschwanzes gelöst hatten, hinter die Ohren.
    Solchermaßen zivilisiert, bemühte sie sich um einen dienstlichen Gesichtsausdruck und sagte: »Auch wenn schon Polizei hier war, Herr Kleiber, Sie sind verpflichtet,mir bei den Ermittlungen zu helfen und meine Fragen zu beantworten. Können wir uns irgendwo ungestört unterhalten? Hier werden ja bald Kunden kommen.«
    Herr Kleiber probierte ein Lächeln, das misslang, und zeigte auf eine Tür. »Gehen wir ins Chefbüro.«
    Das Erste, was Irma in dem kleinen, penibel aufgeräumten Raum ins Auge fiel, war die großformatige Fotografie unter einem Glasklemmrahmen. Sie hing hinter dem Schreibtisch direkt über dem Chefsessel, auf dem sich Herr Kleiber niederließ. Er klickte mit einem Kugelschreiber und wies mit diesem verlängerten Zeigefinger auf den ihm gegenüberstehenden Stuhl.
    »Setzen Sie sich.«
    Aber Irma setzte sich nicht, sondern ging um den Schreibtisch herum und näher an die Fotografie heran. Sie erkannte darauf außer Herrn Kleiber die zwei Damen, die sie in der Schalterhalle kennengelernt hatte. Der schlaksige junge Mann, der neben Herrn Kleiber stand, sah nach Azubi aus. Das Bankpersonal war um eine Dame gruppiert, die ihre Mitarbeiter überragte und einen Blumenstrauß vor die Brust hielt. Unter dem oberen Rand des Bildes stand in Computerzierschrift:
    Zur Erinnerung an das 20-jährige Bankjubiläum unserer Chefin Brünnhilde Kurtz. Herzliche Glückwünsche und alles Gute für die Zukunft
.
    Die handgeschriebenen Unterschriften waren unleserlich.
    Irma war sich sicher, die Dame mit dem Blumenstrauß schon irgendwo gesehen zu haben. Sie schloss die Augen und ließ hinter ihren Lidern Personen flanieren. Sie brauchte nicht lange, bis sie wusste, woher sie die Dame kannte. Das aschblonde Haar, das auf dem Foto zurückgekämmt und vermutlich als Dutt im Nacken saß, war bei Irmas Begegnung mit dieser Frau ein Zopf gewesen, der auf dem Rücken baumelte. Auch die ungewöhnliche Größe passte. Es war erst wenige Tage her, dass Irma diese Frau beim Weinblütenfest auf dem Lemberg kennengelernt hatte.
    Irmas Innehalten vor dem Foto hatte nur ein paar Sekunden gedauert. Doch bevor sie nun eine Frage stellen konnte, hörte sie, wie hinter ihr der Drehstuhl zurückgeschoben wurde und Kleiber aufstand. Er trat neben sie, tippte mit dem Kugelschreiber der Dame mit dem Blumenstrauß ins Gesicht und gab ein fröhliches Meckern von sich.
    »Das ist Frau Kurtz. Ihr Jubiläum liegt erst zwei Monate zurück.«
    »Und Sie, Herr Kleiber, wie lange arbeiten Sie schon bei dieser Bank?«
    »Auch schon fast ein Jahrzehnt.« Er meckerte wieder, diesmal leiser. »Man wird nicht jünger, nicht wahr?«
    Der Kugelschreiber wanderte über die Fotografie: »Das ist Frau Schick. Sie gehört sogar schon länger zu dieser Bank als die Chefin. Das ist Maierchen – äh, Frau Maier, sie ist erst seit drei Jahren bei uns. Und neben mir steht unser Azubi.«
    »Wie ist Frau Kurtz als Chefin? Ich meine, kommt sie mit den Angestellten gut aus?«
    »Sie ist die Korrektheit in Person. Sehr gewissenhaft und absolut verlässlich, was sie auch von uns verlangt. Frau Kurtz ist sozusagen mit der Bank verheiratet.«
    »Gab es in letzter Zeit Unstimmigkeiten?«
    »Nein. Wir sind ein gut eingespieltes Team. – Was soll die Frage?«
    »Ich finde es merkwürdig, dass Frau Kurtz in den Urlaub gefahren ist und nicht abgewartet hat, bis der Bankräuber gefasst wird.«
    Herrn Kleibers Gesicht überzog ein Hauch aus Einfühlung und Mitleid. »Sie können sich ja nicht vorstellen, Frau Kommissarin, wie erschüttert die Chefin gewesen ist. Stellen Sie sich doch vor: Da kommt sie

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