Lemberger Leiche
frühmorgens in die Bank, so wie seit zwanzig Jahren an jedem Arbeitstag – und was findet sie? Verwüstete Diensträume und den ausgeraubten Tresor! Nach diesem Schrecken hat sie den Urlaub wirklich verdient. Meine Kolleginnen und ich haben ihr zugeredet, die Reise nicht zu verschieben. Das Unglück war ja nun einmalgeschehen, daran hätte Frau Kurtz nichts ändern können, wenn sie dageblieben wäre.« Herr Kleiber entließ einen erleichterten Meckerton. »Außerdem ist der Täter doch bereits festgenommen worden, wie die Zeitungen berichten.«
»Ob der Verdächtige der Täter ist, muss sich noch herausstellen«, sagte Irma. »Wenn jemand unter Verdacht gerät, ist damit der Fall noch nicht gelöst.«
»Wieso denn nicht?«
»Der Verdächtige hat bisher nicht gestanden. Und er hatte auch nur einen kleinen Teil der Beute bei sich. Der Rest ist verschwunden. Also muss es Komplizen geben.«
»Der wird schon noch gestehen und seine Kumpane verraten!«, sagte Herr Kleiber in einem Ton, als hätte er täglich Banküberfälle aufzuklären. Er setzte sich an den Schreibtisch und legte beide Hände auf einen Aktenstapel. »Das war’s dann wohl, Frau Kommissarin. Ich muss an die Arbeit.«
Irma ließ sich nun endlich auf dem Besucherstuhl nieder. »Das war es leider noch nicht«, sagte sie und lehnte sich betont gemütlich zurück. »Wie Sie sicher aus der Zeitung wissen, kommt zu dem Raubdelikt nun noch ein Todesfall hinzu. Haben Sie eine Idee, wie das zusammenhängen könnte?«
»Zu der Zeit, als das alles passiert ist, bin ich daheim gewesen. Es war doch Sonntag.«
»Stimmt«, sagte Irma. »Der alte Mann ist nachweislich am Sonntagnachmittag in der Nähe des Bankeingangs gestürzt. Aber woher wissen Sie, dass das auch der Zeitpunkt war, an dem die Bank ausgeraubt worden ist?«
»Na, wissen kann ich das natürlich nicht – aber logisch wäre es.«
»Wieso logisch?«
»Da lief doch das Fußballspiel. Da war kein Mensch auf den Straßen. Die Bankräuber haben nicht damit gerechnet, gestört zu werden.«
»So kann es gewesen sein, Herr Kleiber. Aber dann sind die Bankräuber eben doch gestört worden – von dem altenMann, der seinen Kater gesucht hat. Und der Alte musste mundtot gemacht werden, damit die Beute in Sicherheit gebracht werden konnte.«
Herrn Kleibers Kiefer malmten wie die einer Kuh, und gleichzeitig zog er rhythmisch sein Ohrläppchen lang, als müsste diese Kuh gemolken werden. Irma fragte sich, weshalb er derart nervös wurde, und stellte die Frage, die ihr auf der Zunge brannte: »Wo waren Sie am Sonntagnachmittag zwischen vier und sechs Uhr?«
Nun knirschten Herrn Kleibers Zähne so hörbar, dass Irma Gänsehaut bekam. Sie ließ ihn nicht aus den Augen.
Es klang etwas atemlos, als er hervorsprudelte: »Bis halb vier war ich daheim. Meine Frau und ich hatten Streit, weil ich Fußball gucken wollte und sie nicht. Da bin ich zu meiner Mutter gegangen. Ich musste sie sowieso mal wieder besuchen.«
«Und bei ihrer Mutter haben Sie Fußball geguckt?«
»Ja.«
»Wo wohnt ihre Mutter?«
»Früher hat sie in Stammheim Süd bei uns im Haus gewohnt, beziehungsweise wir bei ihr. Aber seit zwei Jahren hat sie einen Pflegeplatz im Luise-Schleppe-Haus. Das ist im alten Stadtkern von Stammheim.«
»Können Ihre Mutter oder jemand vom Pflegepersonal Ihre Anwesenheit zwischen vier und sechs Uhr bestätigen?«
»Ob mich außer meiner Mutter jemand gesehen hat, weiß ich nicht, weil ich erst nach Spielbeginn gekommen und nach dem Schlusspfiff sofort gegangen bin.« Kleiber lächelte säuerlich und setzte vertraulich hinzu. »Damit meine Frau nicht ganz sauer wird. Sie hat nämlich getobt, als ich einfach weggegangen bin.«
Eine Fußball-Weltmeisterschaft scheint nicht nur Liebespaare, sondern auch Ehen zu strapazieren, dachte Irma. Kleibers Aussagen klangen nicht gerade glaubwürdig. Was hatte dieser gestriegelte Stellvertreter zu verbergen?
Irma stand auf. »Wir werden das überprüfen, Herr Kleiber. – Geben Sie mir jetzt bitte noch Frau Kurtz’ Wohnanschrift, ihre Urlaubsadresse und ihre Handynummer.«
»Muss ich das tun? Ich weiß nicht, ob ihr das recht ist.« Herr Kleiber machte ein Gesicht, als seien diese Auskünfte Staatsgeheimnisse und mit seinen Dienstvorschriften unvereinbar.
»Sie müssen es tun, weil die Kriminalpolizei Sie danach fragt«, sagte Irma. »Ach ja, und die Fotografie vom zwanzigjährigen Jubiläum nehme ich mit. Sie bekommen sie nach den Ermittlungen wieder.«
Herr
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