Lemberger Leiche
fahrt, isch koi Krautscheißer.«
Irma war froh, als ihr Handy klingelte und sie das Gespräch mit ihrer Hauswirtin abbrechen konnte. Es war Schmoll. Wer sollte sie auch sonst am Sonntagmorgen anrufen?
Nach den Regengüssen, sagte er, sei es unsinnig geworden, einen größeren Suchtrupp in den Wald zu schicken.
»Aber auf den Verdacht hin, doch noch irgendetwas zu entdecken, möchte ich selbst noch mal auf den Lemberg und mich ein bisschen umsehen. – Deine Mama reist ja heute weiter, wie sie mir gestern erzählt hat. Vielleicht lindert es deinen Abschiedsschmerz, wenn du heute mit dem alten Schmoll noch mal über den Feuerbacher Höhenweg spazierst.«
»Ist das ein dienstlicher Befehl?«
»Ja, Eichhörnle. Nimm’s leicht.«
Sie trafen sich auf dem Parkplatz beim Lindenbachsee, wo Schmoll auch am Tag zuvor sein Auto abgestellt hatte. Der Waschhausdunst hatte sich verdünnt. Im Wald war es angenehm kühl. Schmoll und Irma nahmen den Aufstieg über die Kotzenlochstaffel in gemächlichem Tempo. Da sie öfter stehen blieben, weil Schmoll gegen seine überschüssigen Pfunde anschnaufen musste, brauchten sie eine gute Viertelstunde bis hinauf zum Horn. Dort setzten sie sich, wie gestern die Wandergesellschaft, auf die Bank unter den Eichen.
Schmoll berichtete, die Spurensicherer hätten gestern unweit des Steilabhanges ein Erdloch gefunden, das offensichtlich erst vor wenigen Tagen ausgehoben worden sei.
»Ein Grab?«
»Noi. Kein Mensch, auch nicht so ein kleiner wie der, den wir aus dem Kotzenloch gefischt haben, hätte da reingepasst. Aber interessant ist: In einem Baum daneben wurde in dem hohlen Stamm ein Klappspaten gefunden. Und nun rate mal, was da dran geklebt hat?«
»Dreck.«
»Dreck ja, aber was noch?«
»Blut.«
»Jetzetle.« Schmoll nickte. »Der Spaten ist schon im kriminaltechnischen Labor.«
»Und?«, fragte Irma gespannt. »Was haben die dort festgestellt?«
»Noch gar nichts. Gestern war es zu spät, und heute ist Sonntag. Du weißt ja, da arbeitet nur der Notdienst, und es dauert alles länger.«
»Blut an einem Spaten«, sagte Irma aufgeregt. »Ich wette, es stammt vom Genick unserer kleinen Leiche.«
»Ich fürchte, um das genau zu erfahren, müssen wir uns bis morgen gedulden«, sagte Schmoll. »Doktor Bockstein hat vormittags noch einen gerichtsmedizinischen Termin inTübingen. Er kommt erst gegen Mittag ins Robert-Bosch-Krankenhaus in die Pathologie. Aber er hat versprochen, sich dann sofort das Kerlchen aus dem Kotzenloch vorzunehmen.«
»Und du willst dir jetzt gemeinsam mit mir das Erdloch vornehmen«, schlussfolgerte Irma.
»Ja«, sagte Schmoll.
Er wischte sich den Schweiß von der Glatze und zog seine unvermeidliche abgewetzte Lederjacke aus, klemmte sie sich unter den Arm und stapfte los. Doch im Wald hob sich Grund und Boden. Die Gewittergüsse hatten ihre Spuren hinterlassen und alle anderen weggespült.
»Wow«, sagte Irma, »ein richtiger Dschungel. Nichts als Urwald, Sumpf und Morast!«
Sie kletterten über kreuz und quer liegende Baumstämme und stampften durch totes Gestrüpp. Wenn Äste unter ihren Schuhen brachen, krachte es wie Schüsse durch die Stille. Es roch nach Moder und Fäulnis. In den Baumkronen lärmte ein Spatzenschwarm. Zwei Eichhörnchen jagten sich die Stämme rauf und runter. Irma zuckte zusammen, als sich ein Laubhaufen bewegte. Ein Igel trippelte eilig ins nächste Dickicht.
Der Gang durch die Wildnis wurde zum Kampf mit Matschlöchern und Brombeerranken. Alle paar Meter mussten sie Dreckklumpen von den Schuhsohlen abkratzen und wuchernde Zweige von ihren Kleidern lösen. Schmoll stolperte über einen Ast und landete im Schlamm.
Er rappelte sich hoch, rieb sich die Hände an den Hosenbeinen ab und brüllte: »Das haben wir Lothar zu verdanken!«
»Wer ist Lothar?«
»So hieß der Orkan, der vor zehn Jahren hier durchgetobt ist.«
»Und warum ist der Wald nicht wieder instand gesetzt worden?«
»Hast du das Schild nicht gesehen? Dieser Wald ist zum Naturschutzgebiet erhoben worden. Nun kann er verwildern, wie er will. Damit spart man Pflegekosten.«
Inzwischen hatte sich Irma rettungslos zwischen Brombeerranken verheddert. Schmoll half ihr, sich zu befreien. Dabei hinterließen seine Schlammfinger nun auch Spuren an Irmas Jeans und T-Shirt. Derartig sonntäglich verdreckt, beschlossen sie, statt dieses Erdloch zu suchen, das irgendwo im Dickicht lag und wahrscheinlich sowieso vom Regen zugespült worden war, auf dem Feuerbacher Höhenweg
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