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Lemberger Leiche

Lemberger Leiche

Titel: Lemberger Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Ramge
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Urplötzlich brach der Regen los. Es hörte sich an, als prasselten zentnerweise Erbsen aufs Dach. Später wurde ein sintflutartiges, dann ein gleichmäßiges Rauschen daraus, bei dem Irma einschlief.
    Erst gegen acht Uhr hatten sich die Naturgewalten ausgetobt und hinterließen gespenstische Stille. Von dieser Stille wachte Irma auf. Sie überzeugte sich, dass ihre Mutter noch schlief, holte die Zeitung aus dem Briefkasten und las im Lokalteil den Artikel unter der Überschrift:
Leiche eines Unbekannten aus dem Kotzenloch geborgen
.
    Um neun Uhr hatte Frau Eichhorn ihren Erschöpfungsschlaf beendet, kroch aus dem Bett und sah aus dem Fenster.
    »Da draußen ist die reinste Waschküche! So ein Schietwedder ist eine Zumutung! Überhaupt, weil ich doch heute nach Baden-Baden fahre!«, rief sie empört in Richtung Küche, wo Irma Kaffee kochte.
    »Im Schwarzwald ist die Luft bestimmt klarer. Sei froh, dass die große Hitze endlich gebrochen ist!«
    »Zu der Mordshitze gestern hätte ja nicht noch die Leiche hinzukommen müssen«, sagte Mama Eichhorn gereizt. »Wenn ich daran denke, wird mir kodderig und ich bekomme Puddingknie.«
    Irma begriff, dass ihre Mutter die Leiche doch nicht endgültig abgelegt hatte. Jetzt, wo eine Nacht über dieses Erlebnis hinweggedonnert und -geblitzt war, hatte ihre Mutterwohl genügend Abstand gewonnen, um ihre Meinung darüber kundzutun.
    »Wie hältst du das aus, Irma?! Wieso konntest du dir nicht einen vernünftigen Beruf suchen? Kein Wunder, dass du keinen Mann abkriegst! Da denkt doch jeder gleich an Mord und Totschlag, wenn er erfährt, dass du Kriminalkommissarin bist!«
    Diese Standpauke schickte Mama aus dem Bad in die Küche, in der Irma als Antwort heftig mit dem Geschirr klapperte.
    Irma merkte, dass ihre Mutter ein Streitgespräch suchte. Schade, dachte sie, nun fängt sie wieder an zu sticheln. Ich nehm sie doch auch, wie sie ist! Dass ich zur Polizei gegangen bin, wird sie nie verkraften. Aber ich bereue es nicht. Nur manchmal, in Situationen wie bei dem Leichenfund im Kotzenloch, wünsche ich mir fast, Friseurin oder Köchin zu sein, um auch mal was für Lebende tun zu können …
    Irma wurde in ihren Grübeleien gestört, weil nun Mama tipptopp aufgebrezelt in einer Chanelwolke – »hat mir Kai-Friedrich geschenkt« – in die Küche getänzelt kam. Sie schien ihren Frust weggeduscht zu haben und zeigte ihre freundliche und praktische Seite, indem sie ihrer Tochter »einen wunderschönen guten Morgen« entgegenjubelte. Danach trug sie das Frühstücksgeschirr ins Wohnzimmer, fischte Butter, Marmelade und Käse aus dem Kühlschrank und faltete die Servietten zu Schiffchen. Frau Eichhorn hatte unbestreitbar Sinn für Esskultur.
    Sie flötete: »Gemütlich hast du’s, mein Irmchen«, und setzte sich erwartungsvoll an den Tisch.
    Irma erschien mit dem Kaffee und stellte das Radio an. Es kamen Nachrichten. Die erste Meldung auf dem Regionalsender galt dem Unwetter, das Teile der Stuttgarter Innenstadt und mehrere Vororte unter Wasser gesetzt hatte. Die zweite Nachricht war der Leichenfund im Kotzenloch. Irma erwartete ein »Mach aus, dabei vergeht mir der Appetit«, aber Mama kaute weiter genüsslich ihr Honigbrot und spitzte die Ohren.
    Nachdem Irma das Radio nach dieser Meldung, die für beide nichts Neues brachte, abgestellt hatte, lehnte sich Mama zurück und sagte: »Ist ja doch ganz spannend. Wenn ich das Kai-Friedrich erzähle! Ich sehe schon, wie er staunt!« Sie blickte auf ihre Armbanduhr. »In einer Stunde holt er mich ab.«
    Herr Jansen war pünktlich. Er hielt mit einem nagelneuen Mercedes vor dem Gartentor und plauderte mit der Hauswirtin Frau Flachs, die im Vorgarten die vom Regen lädierten Fuchsien auszupfte.
    Gleich darauf rauschte Frau Eichhorn mit Irma im Schlepptau aus der Haustür. Sie strahlte wie eine Hundertwattbirne und begrüßte ihren Kai-Friedrich mit innigen Wangenküsschen. Herr Jansen schenkte Irma ein paar charmante Höflichkeitsfloskeln und richtete Grüße von Knut aus. Dem folgte ein herzlicher Abschied, und schon saß Mama neben Herrn Jansen im Auto. Während der Mercedes über die Thomastraße davonrollte, flatterte ihr Schal aus dem Fenster. Irma und Frau Flachs winkten.
    »A liebenswürdiger Mensch, Ihr Herr Vater«, sagte Frau Flachs zu Irma.
    Irma erklärte, dies sei nicht ihr Vater gewesen, sondern der Lebensabschnittsgefährte ihrer Mutter.
    Frau Flachs spitzte die Lippen und nickte. »Des hot se guet verwischt. Wer so a Auto

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