Lemberger Leiche
leckte ihre Hand und kratzte hilfsbereit Dreck von ihren Turnschuhen ab. Das Herrchen erzählte derweil weiter, ohne gefragt zu werden. Zehn Minuten später kannten Irma und Schmoll in groben Zügen Herrn Sorgfalts Lebensgeschichte, die ausschließlich in Feuerbach stattgefunden hatte. Nachdem er preisgegeben hatte, vierzig Jahre lang als Hausmeister in der Kerschensteinerschule gearbeitet zu haben, verlangte er nun, die Berufe von Irma und Schmoll zu erfahren.
Als sie sich als Kripokommissare outeten, hielt Herr Sorgfalt das für einen Witz, über den er gar nicht mehr zu kichern aufhören wollte. Wahrscheinlich hatte er sich das Äußere von Polizeibeamten seriöser vorgestellt.
Wieder versuchte Irma, ihr ramponiertes Outfit zu erklären, und war somit auch gleich beim Thema. Da Schmoll befürchtete, Irma würde sofort wieder von den Schwestern anfangen, nahm er das Wort und berichtete von dem Leichenfund im Kotzenloch. Danach fragte er Herrn Sorgfalt, ob ihm in der letzten Woche beim Gassigehen ein junger, dunkelhaariger Mann, klein und zierlich, begegnet sei. Herr Sorgfalt sagte, er sei zwar jeden Tag mit Gertrud seine Runde gelaufen, aber er könne sich nicht erinnern, einen derartigen Mann gesehen zu haben. Am Sonntagnachmittag allerdings seien er und Gertrud während des Fußballspiels auf der Weinbergterrasse der Besenwirtschaft Ulmer gesessen.
»Es könnte ja sein«, sagte Irma, »dass die Leiche – ich meine, bevor der junge Mann eine Leiche war – auch auf der Terrasse gewesen ist und ein Viertele getrunken hat. Vielleichtwar er in Begleitung oder hat dort jemanden kennengelernt, der ihn später ins Kotzenloch geworfen hat. Oder vielleicht hat der junge Mann auch zu viel getrunken. Dann wäre es denkbar, dass er sich selbst hinuntergestürzt hat.«
Mit diesem vielseitigen Frageblock war Herr Sorgfalt sichtlich überfordert. Er sagte, es hätten viele junge Männer mit dunklen Haaren während des Fußballspiels auf der Weinterrasse gesessen. Auch welche, die einen über den Durst getrunken hätten. Aber er könne sich an niemand Bestimmtes erinnern, da er selbst etwas zu viel geladen hatte.
»Und während Ihrer Gassirunden ist Ihnen die ganze Woche über niemand aufgefallen, auf den die Beschreibung passen könnte?«, fragte Schmoll.
»Nein«, sagte Herr Sorgfalt. »Wenn hier Verbrecher rumlaufen, würde Gertrud sie wittern.«
Schmoll gab ihm seine Karte und sprach an diesem Mittag zum zweiten Mal das TV-Krimi-Zitat.
Herr Sorgfalt nahm seine Gehhilfe in eine und Gertruds Leine in die andere Hand und klickte Richtung Horn davon.
»Ich glaube, wir erfahren hier nichts«, sagte Irma resigniert.
Schmoll nickte und überredete Irma, nach Feuerbach zu laufen und in seiner Stammkneipe einzukehren. »Mir steht der Sinn nach einem Zwiebelrostbraten«, sagte er. »Nach dieser Pleite habe ich ihn verdient.«
»Ich auch«, sagte Irma. »Heute nehme ich auch einen. Mit Spätzle. Und mindestens drei Viertele Lemberger.«
Es waren dann so viele Viertele geworden, dass Schmoll sein Auto am Lindenbachsee stehen ließ und mit der Straßenbahn heimfuhr. Er hätte nie zugegeben, dass er das Alleinsein in seiner Wohnung nicht ertragen konnte. In seiner Freizeit tigerte er verdrießlich durch die Zimmer, die er bis vor zwei Jahren mit Karin bewohnt hatte. Er sah zwar, dass dringend hätte aufgeräumt werden müssen, konnte sich aber nicht dazu aufraffen. Von der peniblen Ordnung, auf die er in seinem Büro Wert legte, war zwischen seinen privatenvier Wänden nichts zu sehen. In seiner Wohnung herrschte Chaos. Eine Putzfrau kam nicht in Frage, weil er überzeugt war, dann nichts mehr wiederzufinden. Schmoll verschob die Aufräumaktion von einem zum anderen Mal, und meist hatte er eine gute Ausrede, weil er zu einem Fall gerufen wurde, der ihn dann nicht mehr losließ.
Karin hatte ihn verlassen, weil ihm seine Arbeit so viel wichtiger gewesen war als das Eheleben. Nie hatte er damit gerechnet, dass sie die Drohung, irgendwann auf und davon zu gehen, wahr machen würde. Und dann war sie weg gewesen. Kurz vor der Silberhochzeit! Seither erhielten sie gegenseitige Informationen über ihre beiden erwachsenen Söhne, die nicht recht wussten, zu wem sie halten sollten, und sich diesbezüglich nicht festlegen wollten und konnten. Schmoll wusste, dass Karin wieder arbeitete. Aber das hatte sie vorher auch schon getan, seit die Kinder aus dem Gröbsten heraus gewesen waren. Er wusste nicht, ob es einen neuen Mann in Karins
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