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Lemberger Leiche

Lemberger Leiche

Titel: Lemberger Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Ramge
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erscheint, kriecht Line auf allen Vieren darauf zu, hat ihn erreicht, als er verlischt. Sie tastet gegen rissiges Holz. Eine Tür? Wenn es eine Tür ist, so lässt sie sich nicht öffnen. Es gibt keine Klinke. Rechts und links neben der Fläche aus rissigem Holz fühlt Line eine Mauer. Die großen Quadersteine sind rau und kalt. Line nimmt die Hände von der Mauer und hämmert wie besessen gegen das Holz. So fest, dass die Haut ihrer Fingerknöchel aufreißt. Der Schmerz steigt von den Händen in die Brust und verschmilzt mit der Angst. Und nun schreit sie. Gellend. Langgezogen. Line schreit um Hilfe.
    Die Männerschritte. Auf einer Treppe. Abwärts. Stille. Dann lautes Rumpeln. Außen wird etwas weggeschoben. Der Lichtstreifen unter der Tür verbreitert sich, wächst zu einem hohen, hellen Quadrat. Das Licht kommt von einer Kerze. Es blendet. Im Gegenlicht steht ein riesiger schwarzer Kerl. Jetzt spricht er. Mit einer Altstimme. Es ist eine Frau.
    »Endlich ausgeschlafen? Hast ein bisschen zu viel Chloroform erwischt. Bist ja nur eine halbe Portion.« Das Lachen kommt tief aus der Kehle, es klingt dunkel und spöttisch.
    Line kann das Gesicht nicht erkennen, sie fragt: »Wer sind Sie? Was habe ich Ihnen getan? Warum bin ich hier?«
    »Du bist meine Geisel. Aber keine Sorge, deine Freundin Irma Eichhorn wird sich dafür einsetzen, dass du hier wiederrauskommst. Sie wird mit mir verhandeln müssen. Sie wird doch ein kleines Opfer bringen können für die Schwester ihres Geliebten? Oder ist sie zu karrieregeil? Sie hat mich gefunden. Aber ich bin ihr entwischt. Sie sollte sich hüten, weiterhin die Polizei auf mich zu hetzen.«
    In Lines Kopf dämmert es – diese Frau, die als massiger Schattenriss vor ihr steht, kann nur Frau Kurtz sein.
    Sie erkannt zu haben, gibt Line Mut. Sie sagt: »Es ist Irmas Job, und ich verstehe nichts davon. Lassen Sie mich hier raus. Bitte!«
    »Bilde dir keine Schwachheiten ein, mein Kind. Ich habe Irma Eichhorn in der Hand. Wenn sie verhindern will, dass dir etwas zustößt, dann wird sie handeln, wie ich es verlange. Sie hat es schriftlich.«
    »Das ist Erpressung!«, schreit Line.
    »Du hast es erfasst!«, sagt Frau Kurtz und schickt ein tiefes Hohnlachen nach.
    »Ich hab Hunger«, sagt Line.
    »Meinst du, ich nicht? Warum soll es dir besser gehen als mir? Ich will dich nicht noch einmal schreien hören! Verstanden?«
    Der schwarze Schatten tritt zurück, und bevor Line reagieren kann, schließt sich die Tür. Es ist wieder dunkel, und draußen wird etwas Schweres vor die Tür geschoben.
    Line reißt sich verzweifelt an den Haaren, der Schmerz lenkt sie von ihrer aussichtslosen Situation ab. Sie erschrickt, als sie merkt, so sehr gezerrt zu haben, dass sie ein kleines Büschel von schweißverklebten Haaren in der Hand hält. Sie wirft es auf den Boden und denkt: Ich darf hier nicht durchdrehen, ich muss mich zusammennehmen.
    Line kriecht in eine Ecke, kauert sich zusammen und denkt nach.
    Was ist gestern passiert? – Ich habe nachmittags im Hotelzimmer am Laptop gearbeitet und zwischendurch einige dienstliche Telefongespräche geführt. Daran kann ich mich genau erinnern. Es muss schon gegen Abend gewesen sein,als ich ins Foyer gerufen wurde. Wer ist das gewesen, der mich sprechen wollte? Wer hat im Foyer auf mich gewartet?
    Ganz allmählich setzt sich vor Lines Augen, die in die Dunkelheit starren, eine Person zusammen: Ein junger Spanier, nett und zuvorkommend.
    Was hat er nur von mir gewollt?
    Stückweise fällt es Line wieder ein: Der junge Mann hatte gesagt, er käme von Irma Eichhorn, der deutschen Kriminalkommissarin, die zurzeit gemeinsam mit der spanischen Polizei im Hotel
Castillo
nach einer gesuchten Person fahnde. Es gäbe Sprachschwierigkeiten zwischen Frau Eichhorn und den spanischen Polizeibeamten.
    »Frau Eichhorn bittet Sie zu kommen und ihr zu dolmetschen. Ich fahre Sie hin.«
    Ja, denkt Line, so ist es gewesen. Und wenig später bin ich in das Auto des netten Spaniers gestiegen. Ich hab mich gefreut, Irma behilflich sein zu können, und auch darauf, nochmal das Schloss und den exotischen Park zu sehen.
    Line legt den Kopf auf die Knie und erinnert sich.
    Ich habe viel zu spät gemerkt, dass der Spanier auf der Ma-13 Richtung Norden fuhr. Auf meine Frage, ob er sich verfahren hätte, hat er geantwortet: »Scheint so«, aber keine Anstalten gemacht, umzukehren.
    Als mir endlich klar wurde, dass etwas nicht stimmte, waren wir schon mindestens dreißig Kilometer von

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