Lemberger Leiche
Kilometer Entfernung ihre Arbeit mies machte, war längst nicht so schlimm wie das, was danach kam.
Irma kehrte erst kurz vor Mitternacht in ihr Hotel zurück. Nachdem sie Frau Kurtz’ Luxuszimmer im
Castillo
gesehen hatte, erschien ihr ihre Unterkunft in der Bettenburg von Cala Major noch ärmlicher. Unter dem Fenster lag eine Kneipe, vor der Tag und Nacht Betrieb und Radau herrschte: Besoffenes Grölen und Lachen und dazu Metallstühle, die ständig auf dem Steinboden hin- und hergeschoben wurden und dabei Töne von sich gaben, als würden sie schreien.
Irma ahnte, dass sie wegen des Lärmpegels, gegen den auch geschlossene Fenster nicht viel halfen, nicht würde einschlafen können. Deswegen wollte sie nachsehen, ob Line noch wach war, und zur Entspannung einen kurzen Schwatzmit ihr halten. Aber Line war nicht da. Irma ging enttäuscht zurück in ihr Zimmer. Sie war so müde, dass sie sich angekleidet aufs Bett fallen ließ. Doch wenig später rissen sie die schreienden Stühle aus dem ersten Schlummer. Sie zog sich aus, machte Katzenwäsche und legte sich wieder hin. In den frühen Morgenstunden, als die Nachtschwärmer aus den Bars und Diskotheken mit viel Getöse und Gelächter im Hotel eintrudelten, meinte Irma, keine halbe Stunde geschlafen zu haben.
Vierzehn
Samstag, 10. Juli
Schmoll hatte ebenfalls schlecht geschlafen. Er las schon um sechs Uhr die Tageszeitung:
Wetter: Deutschland glüht dem Hitzerekord entgegen. Höchsttemperaturen bis zu 35 Grad
. Schmoll seufzte und wischte sich den Schweiß von der Glatze.
Sport: Deutschlands Team will Rang 3 bei WM. – Politik: Steffen Seibert wird Merkels neues Sprachrohr. – Ausland: Mindestens 100 Tote bei Anschlag in Pakistan. – Nach 80 Tagen Ölpest neuer Deckel auf der sprudelnden Ölquelle am Golf von Mexiko
. Schmoll blätterte halbherzig vor und zurück. Das alles interessierte ihn wenig, er musste über Frau Kurtz nachdenken. Dieser aktuelle Fall war zurzeit für ihn das Wichtigste auf der Welt. Seine Hoffnung, die Lösung in Stuttgart zu finden, hatte er endgültig aufgegeben. Er fragte sich zum x-ten Mal, ob man wirklich nichts anderes tun konnte, als auf Mallorca nach Frau Kurtz zu suchen.
Wäre ich mit nach Mallorca geflogen, dachte Schmoll, müsste ich zumindest dieses Wochenende nicht daheim hocken. Irgendwann fällt mir hier noch die Decke auf den Kopf. Sollte ich nicht doch mal bei Karin anrufen? Einfach so. – Na ja, heute nicht. Vielleicht, wenn dieser idiotische Fall mit der Kotzenloch-Leiche geklärt ist.
Es war fast sieben Uhr, als Schmoll die Zeitung zur Seite legte und daranging, sich Kaffee zu kochen.
Zu gleicher Zeit war Irma schon mit dem Frühstück fertig und gab ihren Schlüssel an der Hotelrezeption ab. Ihr wurde ein Brief über die Theke geschoben: »Heute Nacht Bote bringen.«
Die Anschrift
Irma Eichhorn, Hotel Santa Monica, Cala Major
war mit Computer getippt. Ein Absender fehlte. Irma setzte sich im Foyer auf eins der abgenutzten Sesselchen und riss das Kuvert auf:
Frau Irma Eichhorn
,
Aline Kowalzki befindet sich in Geiselhaft. Sie wird nur freigelassen, wenn Sie, Frau Kommissarin, Ihre polizeilichen Aktivitäten einstellen und unverzüglich die Insel verlassen. Aline ist körperlich unversehrt – noch! Aber ihrem Seelchen geht es nicht sehr gut. Wenn Sie die Polizei einschalten, muss ich handeln
.
XXX
Trotz der drei Kreuze war Irma sofort klar, von wem dieser Brief kam. Die polizeilichen Aktionen einzustellen war nicht möglich, da die Fahndung nach Frau Kurtz bereits im Gange war. In den Suchmeldungen würde aber noch nichts von einer Geiselnahme stehen. Ob das Frau Kurtz reichte, um Line nichts anzutun? Und die Insel zu verlassen, solange Line nicht befreit war, kam natürlich überhaupt nicht in Frage.
Fest stand nur eins: Wo immer sich Frau Kurtz versteckt hielt, da würde auch Line zu finden sein.
Erst als Irma zu Lines Zimmer gehetzt war und sich überzeugt hatte, dass sie wirklich nicht mehr da war, wurde ihr die Tragweite der Situation richtig klar. Ihr schwirrte der Kopf.
»Line! Nein, nein, nein«, wisperte sie vor sich hin. »Das kann nicht wahr sein.«
Schließlich rief sie Leo an. Er war bereits im Dienst und wollte Irma auf später vertrösten. Aber sie schrie und schluchzte ihm die schlimme Nachricht in den Hörer.
Leo geriet völlig außer sich. Seine Stimme klang, als ginge ihm die Luft aus.
»Line weg? Geiselhaft?«, keuchte er. »Ich denke, du hast jetzt mallorquinische Amtshilfe? Die
Weitere Kostenlose Bücher