Lemberger Leiche
Kopf, starrt aus dem Fenster, ohne etwas zu sehen, und spricht leise vor sich hin: »José ist nicht zu trauen. Ich muss hier weg. Ich werde nach einem anderen Versteck suchen. Danach muss ich nur Geduldhaben, bis die Suche nach mir eingestellt worden ist. Geduld haben. Weiter nichts.«
Brünnhilde Kurtz presst die Hände auf ihren leeren Magen und ihr wird eine weitere Panne ihres so gut ausgetüftelten Planes bewusst. Keine schicksalhafte, aber eine lebenswichtige Panne: José hat die Lebensmittel, die er ihr mitbringen sollte, in der Hektik ihres letzten Zusammentreffens nicht abgeliefert. Sie liegen noch im Kofferraum seines Wagens, mit dem er wieder Richtung Palma gefahren ist.
Vielleicht, denkt Brünnhilde, hätte ich José doch nicht so abrupt von der Finca jagen sollen. Sie hat Hunger. Ein Zustand, der ihr unerträglich ist und sie am logischen Denken hindert.
Leo hatte den Leihwagen noch nicht zurückgegeben, weil er gehofft hatte, Irma noch etwas von der Insel zeigen zu können. Nun musste der Wagen für eine weitere Dienstfahrt herhalten. Für einen dienstlichen Ausflug mit Irma. Zudem ein Ausflug, der zum Verzweifeln beunruhigend war.
Auf der Fahrt hinauf nach Son Vida schwiegen sie. Die atemberaubenden Ausblicke aufs Meer ließen sie gleichgültig. Sie bemerkten auch nicht das Licht, das die Insel leuchten ließ. Dieses Morgenlicht, das so viele berühmte Maler zu zauberhaften Bildern inspiriert hatte. Irma und Leo wollten so schnell wie möglich an ihr Ziel gelangen. Obgleich sie beide nicht wussten, wonach sie in und um das Hotel, das Frau Kurtz Hals über Kopf verlassen hatte, suchen sollten, fiel ihnen nichts ein, was sie sonst hätten tun können. Ihre Gedanken kreisten ständig um Line.
Am Hotel
Castillo
angekommen, setzten sie sich bedrückt und ratlos auf eine Bank im Park. Die Sonnenliegen unter den Palmen waren fast alle belegt. Dazwischen wuselte ein kleiner Kellner umher und nahm Bestellungen für Drinks und Snacks auf.
Leo sah ihm zu und dachte: Der hat einen echt bekloppten Job. Den ganzen Tag muss er scheißfreundlich zu dieser Schickeria-Bande sein, damit er zu seinem jämmerlichen Lohn ein bisschen Trinkgeld bekommt.
Und dann nahm Leo seine Sonnenbrille ab und sagte leise und aufgeregt: »Verdammt, den Kerl kenn ich.«
Irma blickte Leo irritiert an und fragte, was er damit meine.
Er zeigte unauffällig zu dem Kellner: »Wie kommt der denn hierher? Wieso kellnert der hier?«
»Warum sollte er nicht?«, fragte Irma. »Ich hab ihn gestern schon gesehen. Er hat Brünnhilde Kurtz bedient. Sehr liebevoll bedient, wie mir schien.«
»Dieser kleine Affe war gestern Abend bei mir im Studio, hat wer weiß wie weltmännisch getan und sich für Fitnesskurse angemeldet. Er hat sich als Geschäftsmann aus Barcelona ausgegeben.«
Und dann sagte Leo etwas, was Irma aufhorchen ließ: »Wenn ich jetzt über seinen Besuch nachdenke, muss ich gestehen, ich hab mich regelrecht von ihm ausfragen lassen.«
»Ausfragen lassen? Worüber?«
»Er hat gefragt, ob ich eine Freundin hätte. Und ich habe stolz und ehrlich gesagt: Ja!«
Irma wurde zusehends aufgeregt. »Und was hast du noch ausgeplaudert?«
»Dass du dienstlich hier zu tun hast!«
»Als Kripokommissarin.«
»Nein, das nicht. Aber ich hab ihm auch von Line erzählt.«
Leo wühlte seine Hände in seine kurzen, von der Sonne gebleichten Locken. Als er Irma ansah, lag in seinen Augen Entsetzen.
»Ich Idiot hab erzählt, in welchem Hotel ihr wohnt. Das wird er brühwarm Frau Kurtz berichtet haben.«
Irma lehnte sich zurück und sagte gedehnt: »Na, dann geh mal hin zu dem Herrn und frag ihn ein bisschen aus. Sag: ›Wirkennen uns doch und ich freue mich, wenn Sie zum Kurs kommen.‹ Ich werde beobachten, wie er reagiert, und meine Schlüsse ziehen. Wenn er sich verdächtig macht, das heißt nervös wird, dann rede ich ein ernstes Wort mit ihm.«
Leo konnte sich sparen, den Kellner anzusprechen. José kam eilfertig und nichts ahnend zu ihnen, um nach ihren Wünschen zu fragen. Als er Leo erkannte, erstarrte er.
»Wie schnell man sich wiedersieht!«, sagte Leo spöttisch. »Nächste Woche geht es ja los mit Ihrem Fitnesstraining, Herr Lopez – oder heißen Sie womöglich anders?«
Josés bräunlicher Teint bekam die Farbe von Schimmelkäse. Seine Lippen unter dem spanischen Bärtchen zuckten, doch er brachte kein Wort hervor. Er sah sich um, als wollte er sich postwendend verdrücken, aber Leo hielt ihn am Arm fest.
Irma sagte kurz
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