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Lemmings Zorn

Lemmings Zorn

Titel: Lemmings Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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Lemming zu und leert das nächste Krügel. «Weil ohne Bier kein Schlaf, und ohne Schlaf keine Arbeit.» Seinen Job als Krankenpfleger hat er dann trotzdem verloren: Ein schwabbelnder, schwitzender Mann, der nach Alkohol stinkt, ist im Spital nun einmal fehl am Platz. Sogar auf der Komastation, wegen der Angehörigen. «Wieso ich das Häuserl nicht endlich verkauf?», fragt Meisel mit schwerer Zunge und grinst. «Was, glauben Sie, bekomm ich dafür? Was zahlen Sie für ein Ticket in die Hölle? Nein, Herr Wallisch, ich sitz das jetzt aus, ich wart, bis das alles vorbei ist. Bis es keinen Sprit mehr gibt, kein Öl, verstehen Sie? Lange kann’s ja nicht mehr dauern; wenn ich mir anschau, was allein vor meiner Türe in die Luft geblasen wird, rechne ich täglich damit.»
    Meisel ordert noch ein letztes, dann ein allerletztes Bier, bevor er sich – im aufrechten, aber nun doch schon leicht schwankenden Gang – auf den Heimweg macht. Auch Sabitzer verabschiedet sich, um, wie er sagt, den Rest dieser Nacht zu nutzen. Als Lehrer hat man zwar Ferien, aber als Spengler eben nicht. Und morgen ist wieder ein Arbeitstag in seinem grauen Gürtelhinterhof.
    Zitterer und Trinker sind also gegangen, Schlenkerer und Lächler sitzen nach wie vor am Tisch. Zusammen mit der blassen Josefine Mally und dem Lemming, der nun – mit einem zögernden Blick zum alten, gehörlosen Nedbal hin – versucht,dem Gespräch die entscheidende Wendung zu geben. «Wo ist aber jetzt dieser
Alf
?», fragt er leise.
    «Geduld, Herr Wallisch», antwortet Jandula. «Wir sind noch nicht fertig. Die Geschichte unseres Freundes hier», er deutet auf Nedbal, «sollten Sie sich auch noch anhören.»
    «Aber   …», wirft der Lemming unwillig ein.
    «Nichts aber. Zuerst die Geschichte, dann
Alf
. Frau Mally, wären Sie so freundlich?»
    Und Josefine Mally beginnt zu erzählen. Sie beschreibt eine weitere Chronik des Schreckens, wobei sie der Hauptperson ihres Berichts, dem weißen, faltigen Nedbal, hin und wieder ein gütiges Lächeln schenkt. Nedbal lächelt zurück, in der Art eines Kiffers, der eine Teekanne angrinst.
    Theodor Nedbal, ehemaliger Gemischtwarenhändler, hat sich nach seiner Pensionierung vor sieben Jahren ein Haus am Fuße des Laaerbergs gekauft, der sich am Südrand der Stadt im Bezirk Favoriten befindet. Ein Winkel von Wien, bestens geeignet, um dort seinen Ruhestand zu genießen, hat er doch nicht nur einen Kur- und Erholungspark zu bieten, sondern auch ein ausgedehntes Wander- und Ausflugsgebiet, den Laaer Wald. An den östlichen Hängen des Berges findet man Weingärten und eine Vielzahl von Heurigen, kurzum: alles, was ein müdes Rentnerherz begehrt. Zwei Jahre Glück waren Nedbal und seiner Frau hier beschieden, zwei Jahre Seligkeit und kein Tag mehr. Im Frühjahr neunundneunzig, um sieben Uhr morgens, da hat es begonnen, das Vibrieren der Scheiben, das Dröhnen und Pfeifen über dem Haus. Nedbal konnte es am Anfang gar nicht glauben, er dachte an einen Notfall, einen technischen Defekt oder einen Pilotenfehler. Aber schon nach zehn Minuten war ihm klar, dass hier nichts Ungeplantes vor sich ging. Vier mächtige Jumbojets waren in diesem Zeitraum über sein Dach, seinen Garten gedonnert: ein schockierender Ansturm, eine wahre Stampede entfesselter Flugelefanten. Nur dass es sich bei Stampeden (so gefährlich und nervenzerrüttendsie sein mögen) um ein sporadisches Phänomen zu handeln pflegt. Der Angriff der wütenden Jumbos hielt freilich bis zum Abend an; gegen halb zehn brauste der letzte über die Köpfe Nedbals und seiner Frau hinweg – der letzte aber nur an diesem Tag. Am nächsten Morgen nämlich setzte sich die Attacke der Tiefflieger fort, und auch am übernächsten und an den Morgen danach: Vierzehn Stunden täglich tobten die Maschinen über den Laaerberg, sie tobten und tobten im Zwei- bis Dreiminutentakt.
    «Der Flughafen Schwechat», wirft Jandula ein, «versucht sich schon seit Jahren zum aviatischen Drehkreuz Osteuropas zu mausern. Transfer- und Frachtflüge vor allem, aber natürlich auch Billigairlines, die man mit Dumpingpreisen hierherlockt. In nur einem Jahrzehnt hat sich auf diese Art das Flugaufkommen verdoppelt, also hat man Ende der Neunziger eine der beiden Landepisten in Richtung Wien verlängert, um sie auch für die ganz dicken Brummer nutzbar zu machen. Größer, tiefer, lauter, und das mitten über der Stadt: Einflugroute über den Laaerberg und den Zentralfriedhof, aber nur bei Südostwind, also bei

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