Lenas Flucht
Fruchtwasser! Möchten Sie einen Kaffee?«
»Da sag’ ich nicht nein.« Krotow nahm sich einen Stuhl und setzte sich.
»Außerdem ist wichtig, daß sich in dem Fruchtwasser höchstwahrscheinlich eine lebende Frucht befunden hat. Zucker?«
»Zwei Stück«, antwortete Krotow mechanisch.
»Kann Fruchtwasser ein Gift oder etwas Ähnliches sein?«
»Wo denken Sie hin! Das ist völlig harmlos.«
»Aber es befindet sich in einer Tropfflasche. Was passiert, wenn es in die Blutbahn eines Menschen gelangt?«
»Darauf ist bestimmt noch niemand gekommen. Aber theoretisch wäre das tödlich. Eine Fruchtwasserembolie. Die würde man sicher als Todesursache feststellen. Äußerst selten, kommt aber vor. Allerdings könnte man damit nur eine Frau nach der Geburt umbringen und auch nur unter Krankenhausbedingungen. Es wäre absolut nichts nachzuweisen …«
»Die Fingerabdrücke hast du sichergestellt?«
»Was für eine Frage, Sergej!«
»Danke, Ljuba. Heb sie gut auf. Und die Untersuchungsergebnisse schreibst du mir ganz offiziell, wie es sich gehört. Jetzt schulde ich dir noch eine Schachtel ›Rafaello‹.«
»Und in welcher Klinik arbeiten solche erfinderischen Ärzte?« fragte Ljuba lächelnd. »Gut zu wissen, damit man denen nicht mal zufällig in die Hände fällt.«
»Es gibt da ein kleines Städtchen im Moskauer Gebiet. Aber diese Herrschaften werden hoffentlich bald keine Ärzte mehr sein«, beruhigte sie Krotow.
Ilja Burjak schraubte seinen schwammigen Körper ächzend aus dem Sessel und streckte seinem Besucher beide Hände entgegen.
»Sergej Krotow! Welcher Wind hat Sie hierhergeweht? Schön, Sie zu sehen. Natascha!« rief er seiner Sekretärin zu, »Tee für uns beide!«
Krotow wollte abwarten, bis sich die langbeinige Sekretärin entfernt hatte. Aber die tauchte im Handumdrehen wieder auf und trug ein Tablett vor sich her, auf dem zwei Tassen dampfenden Tees, ein Tellerchen mit aufgeschnittener Zitrone, eine Zuckerdose und eine geöffnete Schachtel Konfekt standen.
»Ilja Timofejewitsch«, begann Krotow, »ich muß eine sehr persönliche, ja sogar vertrauliche Frage mit Ihnen besprechen.«
»Ich bin ganz Ohr! Bedienen Sie sich – Zitrone, vielleicht etwas Süßes? Die Pralinen sind aus der Schweiz. Sehr zu empfehlen.« Burjak prüfte den Inhalt der Packung eingehend, wählte schließlich eine Praline, schob sie in den Mund und lächelte selig.
»Danke«, erwiderte Krotow, »ich mag nichts Süßes. Mein Problem ist folgendes: Eine mir sehr nahestehende Person ist hoffnungslos krank. Die Ärzte haben ihn schon aufgegeben. Da ist mir zufällig zu Ohren gekommen, daß es ein Präparat geben soll, das ihn … vielleicht nicht völlig gesund macht, aber ihm zumindest eine Chance gibt. Es soll nur sehr schwer zu bekommen sein …«
»Woran leidet denn der Mann, und wie heißt das Präparat?« Die dritte Praline verschwand in Burjaks Pausbacken.
»Ich bin ein medizinischer Laie, aber wie die Ärzte mir erklärt haben, hat mein Freund eine komplizierte Störung des endokrinen Systems. Wie das Medikament heißt, weiß ich auch nicht, aber man soll es aus der Leibesfrucht und der Plazenta herstellen, wenn sie in der Mitte der Schwangerschaft abgestoßen werden.«
Burjaks freundliche Miene verfinsterte sich für einen Augenblick. Seine Wurstfinger, die gerade wieder nach einer Praline greifen wollten, erstarrten in der Luft.
»Sie haben mich neulich schon mal in dieser Frage angerufen. Und dann hat sich auch Ihr Chef dafür interessiert. Ich habe ihm und Ihnen bereits gesagt, daß aus Frucht und Plazenta nichts hergestellt wird.«
»Begreifen Sie doch, ich weiß jetzt genau, daß es dieses Präparat gibt«, erwiderte ihm Krotow in sanftem, vertraulichem Ton. »Mir ist ziemlich egal, warum Sie seinerzeit gesagt haben, es gäbe das nicht. Ich verstehe, daß die Sache bislang streng geheimgehalten wird, daß sie einen enormenPreis hat usw. Aber das ist unsere letzte Chance. Helfen Sie mir, bitte!«
»Also gut«, kam es nach einer langen Pause von Burjak, »es gibt in Moskau eine offiziell eingetragene pharmazeutische Firma, die ein solches Präparat herstellt und vertreibt.«
»Das weiß ich schon.« Krotow seufzte. »Aber die haben so wahnsinnige Preise, wie sie sich nur Milliardäre leisten können. Ich wollte Sie fragen …Ich kenne sonst niemanden weiter, der mir helfen könnte. Ich dachte, daß man das Medikament auf etwas inoffiziellem Weg vielleicht zu einem erschwinglichen Preis erwerben
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