Lenas Flucht
bemerkt, daß du überhaupt nicht rauchst. Hast du es tatsächlich aufgegeben? Und jetzt stellt sich heraus: Du trinkst auch nicht.«
Der Zwerg von Wirt, der in ehrerbietiger Pose auf die Bestellung wartete, trat plötzlich an Steven heran und flüsterte ihm mit Verschwörermiene etwas ins Ohr. Der zog erstaunt die Brauen hoch.
»Ist das wahr?« Steven starrte Lena an.
»Was?«
»Signore Luzoni meint, du seist …«
»In solchen Sachen irre ich mich nicht«, erklärte der Italiener stolz. »Ich habe neun Kinder. Für Sie, Madame, brate ich jetzt persönlich unsere berühmte Forelle. Sie müssen Fisch essen, der hat viel Phosphor. Dann bekommen Sie ein kluges Kind.«
Als der Italiener in der Küche verschwunden war, fragte Steven leise: »Warum hast du mir das nicht gleich gesagt?«
»Ich dachte, es ist nicht zu übersehen. Und du hast ein Gesicht gemacht, als wäre ich erst fünfzehn und hätte es, wie meine Tante Soja zu sagen pflegte, auf der Straße aufgelesen.«
Nun schlug sich Steven schon wieder mit der Hand an die Stirn. »Ich habe ganz vergessen zu fragen, wie es deiner kommunistischen Tante geht?«
»Sie ist gestorben.« Lena spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. »Erst vor ganz kurzer Zeit. An einem Infarkt.«
»Armes Mädchen«, schüttelte Steven den Kopf.
In diesem Augenblick dröhnte ganz in der Nähe eine schwere Explosion.
Verdammt noch mal! grollte Sweta. Ich schaffe das nicht allein. Ich kann nicht an drei Orten gleichzeitig sein!
Sie stand in der Menge hinter der Absperrung, die die Polizei um Stevens Haus gezogen hatte.
Die Trümmer seines grünen Fords rauchten noch. Sweta sah, wie man in einem Plastiksack wegtrug, was von der Schwarzen Samantha geblieben war.
Die Druckwelle hatte in mehreren Nachbarhäusern die Fensterscheiben bersten lassen. Steven machte gerade eine Aussage. Lena stand neben ihm, und Sweta konnte sehen, wie sie zitterte.
Sweta suchte unter den Gaffern »ihren« Mann zu entdecken, fand ihn aber nicht. Nach den Gesprächen zu urteilen, standen hier vor allem Bewohner dieses vornehmen Viertels. Der Knall hatte sie aus ihren Häusern getrieben.
»Ich habe Mr. Pollit immer gesagt, er soll keine Frau in sein Haus lassen, deren Mann im Gefängnis sitzt!« hörte Sweta eine Stimme neben sich sagen. »Der reine Zufall, daß nicht er selbst in dem Wagen saß!«
»Und Mr. Pollit hing so an seinem guten alten Ford!« bemerkte ein anderer.
Die Menge zerstreute sich langsam. Mehrere Polizisten gingen mit in Stevens Haus.
»Sie sind sich sicher, Mr. Pollit, daß dieser Anschlag nicht Ihnen gegolten hat?« fragte der dunkelhäutige Detektiv lächelnd.
»Wer sollte denn etwas gegen mich haben?« erwiderte Steven achselzuckend.
Am nächsten Morgen gegen acht Uhr ließ Lena die Haustür leise ins Schloß fallen und ging eilig zur U-Bahn. Eine halbe Stunde später stand sie in der pompösen, marmorgeschmückten Halle des Hauptquartiers der New Yorker Polizei.
Mitten im Raum ragte die über zwei Meter hohe Figur eines stattlichen Polizisten mit Hund vor ihr auf. Beide schauten Lena mit finsteren kupfernen Augen an.
Wie in unserer Metro-Station »Platz der Revolution«, ging es Lena durch den Kopf. Sie trat an die Barriere heran.
»Guten Morgen«, grüßte sie eine junge Chinesin. »Ich möchte gern Detective McCoventry sprechen. Es ist sehr dringend.« Sie reichte der Chinesin die Visitenkarte, die der Beamte ihr am Abend zuvor gegeben hatte.
»Für wann sind Sie verabredet?« erkundigte sich die Chinesin höflich.
»Wir haben keinen konkreten Termin vereinbart. Aber Mr. McCoventry hat mich gebeten vorbeizukommen, wenn mir zu der Explosion von gestern abend in Brooklyn noch etwas einfällt.«
Das stimmte nicht ganz. Der Detective hatte sie nicht einmal um ihren Anruf gebeten. Doch sie hatte seine Karte.
»Kann ich Ihre Papiere sehen, Madam?« fragte die Chinesin lächelnd.
Lena reichte ihr den internationalen Presseausweis und ihren Paß hin.
»Was ist denn das für eine Sprache?« fragte das Mädchen verblüfft und hob die feinen Augenbrauen, als sie den dunkelroten Paß in der Hand hielt.
»Russisch.«
»Wie spricht sich Ihr Name aus?«
Lena las ihn ihr langsam vor. Die Chinesin nahm den Hörer ab.
»Hier ist eine russische Journalistin, die Detective McCoventry sprechen will. Gut, Ich schicke sie Ihnen. Nehmen Sie den Lift zum achten Stock, dann die erste Tür rechts.«Die Chinesin reichte Lena ein Plastikschildchen mit einer Klemme. »Das
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