Lennox 01 - Lennox
fürchte, es hat sich von vornherein um ein schreckliches Missverständnis gehandelt. Lillian hat mich heute Nachmittag angerufen, kurz nachdem Sie und ich miteinander gesprochen hatten. Sie ist kurzfristig zu ihrer Schwester in Edinburgh gerufen worden. Das arme Ding ist plötzlich schwer erkrankt. Lillian hatte mir eine Nachricht hinterlassen, aber der Zettel war hinter den Sekretär gerutscht. Erst als sie heute anrief, erfuhr sie, dass ich mir Sorgen gemacht habe.«
»Ah ja, ich verstehe«, sagte ich, obwohl er Stuss redete.
»Hier, Mr. Lennox.« Andrews machte keine Anstalten, mich ins Haus zu bitten; stattdessen nahm er einen Scheck aus der Tasche und reichte ihn mir. Er war auf eine weit größere Summe ausgestellt, als mir zustand. »Ich fühle mich ein bisschen schuldig, dass Sie sich umsonst bemüht haben. Ich hoffe, das deckt Ihre Unannehmlichkeiten ab.«
Hier passte gar nichts zusammen. Trotzdem steckte ich den Scheck ein.
»Dürfte ich die Nachricht lesen, die Ihre Frau Ihnen hinterlassen hat?«, fragte ich.
Andrews’ Erleichterung verflog. Er wirkte erschrocken. »Die Nachricht? Wieso? Oh ... Ich fürchte, ich habe sie weggeworfen, nachdem ich sie gelesen hatte. Ich hielt es nicht für nötig, den Zettel aufzubewahren.«
»Verstehe.« Ich hob meinen Hut um einen Zoll. »Da bin ich aber froh, dass die Sache sich geklärt hat. Auf Wiedersehen, Mr. Andrews.«
Irgendetwas huschte über sein Gesicht. Ein Ausdruck von leisem Zweifel, oder Hoffnung. Dann war es auch schon wieder verschwunden.
»Auf Wiedersehen, Mr. Lennox.«
Dass ich nicht gleich zu meiner Wohnung fuhr, kam vielleicht daher, dass ich nichts zu tun hatte. Außer »Import-Export« gibt es noch andere Möglichkeiten, so viel Geld zu verdienen, wie man braucht, um sich ein Anwesen in Bearsden leisten zu können. Ich durchquerte Glasgows beblätterte Vorstadt in Richtung Norden und bog zwischen manikürten Büschen und Bäumen in eine andere lange Auffahrt ein. Doch als ich deren Ende erreichte, stand dort kein kleiner, dicker Geschäftsmann vor seinem kleinen Landhaus; stattdessen lungerten dort Schläger in billigen Anzügen herum und beäugten boshaft meine Annäherung.
»Und was kann ich für Sie tun?« Der Glasgower Einschlag war so dick wie das Makassaröl im Haar des Rabauken, der neben dem Autofenster erschien. Er trug enge Röhrenhosen, und sein Jackett reichte bis zur Mitte des Oberschenkels. Offenbar die neueste Mode. Es sollte »edwardianisch« aussehen, und ich hatte gehört, dass ihre Anhänger sich »Teddy Boys« nannten.
»Ich möchte Mr. Sneddon sprechen.«
»Ach wirklich? Möchten Sie? Haben Sie denn eine Verabredung?« Er betonte jede Silbe von »Verabredung«, als hätte er das Wort eigens einstudiert.
»Nein. Sagen Sie ihm, Lennox sei hier. Ich möchte ihn sprechen.«
»Weswegen?«
»Das geht nur mich und Mr. Sneddon etwas an.«
Der Schlägertyp in der Röhrenhose öffnete die Autotür und führte mich in Sneddons Haus. Wie ein Raufbold, der einen Butler imitiert, befahl er mir, in der pseudo-gotischen Diele zu warten. Sneddon ließ mich eine halbe Stunde schmoren; dann kam er aus dem Snookerzimmer. Damit rieb er mir unter die Nase, dass ich von seinen Launen abhing und ohne seine Erlaubnis nicht gehen konnte.
Willie Sneddon war einer der Drei Könige, die Glasgow beherrschten. Das Haus im nachgeahmten Scots Baronial-Stil in Bearsden, in dem wir uns befanden, mochte Sneddons Burg sein, aber sein Königreich lag an der South Side. Er war kein besonders großer Mann, jedoch erlesen und überraschend geschmackvoll gekleidet. Trotzdem sah man auf den ersten Blick, dass sich bei diesem Mann alles um Gewalt drehte. Er war stämmig, aber nicht massig. Muskulös. Sehnig, als wäre er aus Tauen geflochten. Hinzu kam, dass in ferner Vergangenheit jemand mit einem Rasiermesser eine ewige Runzel in seine rechte Wange geschnitten hatte.
»Was wollen Sie, Lennox?« Er schoss seine Begrüßung über die Schulter, während er mich in ein Arbeitszimmer voller Bücher führte, die er nie gelesen hatte und wohl auch nicht verstanden hätte. Er bot mir keinen Platz an, aber ich setzte mich trotzdem.
»Ich hatte einen Zusammenstoß mit Frankie McGahern«, sagte ich und steckte mir eine Zigarette an.
»Ich hab gehört, er hatte einen Zusammenstoß mit Sie«, entgegnete Sneddon mit einer Grammatik, die als perfekt gelten konnte, wenn man in Govan wohnte. »Haben Sie ihn kaltgemacht, Lennox?«
»Damit habe ich nichts zu tun.
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