Lennox 01 - Lennox
Hand in meinem Schritt, und die Natur lieferte ihr dort etwas, woran sie sich festhalten konnte. Ich roch noch das Parfüm, mit dem sie mich bei dem Kuss beschmiert hatte. Ich dachte an den kleinen, ängstlichen Mann, der versucht hatte, mich zu kaufen.
»Hör zu ...« Ich wich zurück. »Ich ...«
»Nein?«, fragte sie mit einem kalten Lächeln. »Dachte ich’s mir.«
Etwas, das sich anfühlte wie ein Stahlhammer, knallte mir gegen den Hinterkopf, und augenblicklich drang mir der Smog in den Schädel. Wurde sogar noch dichter. Und dunkler.
Viele Glasgower wachen an den Wochenenden im Krankenhaus auf, und diesmal erwachte auch ich am Sonntagmorgen auf einer Station des Western General Hospital. Neben meinem Bett saß eine hübsche Krankenschwester und las den Glasgow Herald . Ich versuchte mich aufzusetzen, doch schon bei der ersten Bewegung explodierte irgendwas in meinem Schädel. Helle Lichter blitzten vor meinen Augen, und ein scharfer Schmerz durchschnitt gnadenlos mein Hirn. Ich tastete meinen Hinterkopf vorsichtig mit den Fingerspitzen ab, befühlte mein verfilztes Haar und verzog gequält das Gesicht, als ich auf der Kopfhaut einen hässlichen Grat aus harten, in regelmäßigen Abständen gezogenen Knoten einer Operationsnaht ertastete.
»Na, na«, sagte die Krankenschwester. »Das wollen wir doch lieber lassen, oder?«
Ich stöhnte und kämpfte gegen eine Woge der Übelkeit an.
»Wir müssen jetzt ganz ruhig sein.« Die Karbolmaus behielt ihren gezwungen fürsorglichen Tonfall bei. Umherirrend in einem Nebel aus Schmerz fragte ich mich, ob es irgendeine stillschweigende Übereinkunft gab – oder Vorschrift –, die sämtliche Angehörigen der Gesundheitsberufe zwang, in der ersten Person Plural zu sprechen.
Die Schwester – sie war klein wie die meisten Glasgower – runzelte die hübsche Stirn. »Ich glaube, wir sollten den Arzt holen.«
Ich sah ihr ins herzförmige Gesicht, das von rotbraunem Haar umrahmt und von einem Häubchen gekrönt wurde.
»Und warum tun wir das dann nicht, Schwester?«, fragte ich.
Als sie davonging, musterte ich ihre zierliche, schlanke Gestalt und nahm mir für später vor, einen Annäherungsversuch zu machen, falls ich diesen Plan in meinem ramponierten Kopf behalten konnte. Dann erst fielen mir die Ereignisse des vergangenen Abends wieder ein: Lillian Andrews’ milchweiße Haut, ihre heiße, fordernde Zunge und dann der Schmerz, als ihr Komplize, der sich im Smog versteckt hatte, mir eins übergezogen hatte.
Die Schwester kam mit einem jungen, mageren Arzt mit schlechter Haut und gezwungen autoritärem Gebaren zurück.
»Aaah, Mr. Lennox. Sie scheinen sich gestern Abend den Schädel angeschlagen zu haben. Vielleicht haben wir ein bisschen zu viel vom uisge beatha genossen?« Wieder erste Person Plural.
»Lassen Sie mich zwei Dinge klarstellen«, erwiderte ich. »Erstens, für Sie bin ich immer noch Captain Lennox. Zweitens, wenn Sie auch nur das primitivste, erbärmlichste Blutbild gemacht hätten, wüssten Sie, dass ich keinen Tropfen Alkohol intus hatte. Bevor Sie also anfangen, mich von oben herab zu behandeln, vergewissern Sie sich gefälligst, ob Sie sozial und intellektuell überhaupt in der Lage dazu sind. So, und jetzt sagen Sie mir – ist unser Schädel gebrochen?«
»Nein.« Die Wangen des jungen Medizinalassistenten liefen rot an. Ach, diese Briten. Sie waren immer so leicht zu manipulieren. So beladen von Komplexen von wegen gesellschaftlicher Status und Autorität. Seit meiner Dienstentlassung hatte ich mehrmals Gelegenheit gehabt, die Offiziersklassenkarte auszuspielen. Dass mein Akzent schwer einzuordnen war, warf die Briten ebenfalls aus dem Ruder. Ich fand es lustig: Wie oft hatte ich mir Lobeshymnen auf die »gesunde britische Respektlosigkeit vor der Autorität« anhören müssen. Doch nur die Deutschen übertrafen die Briten in der Kunst, die Anweisungen eines Höhergestellten zu befolgen, ohne Fragen zu stellen. Und die Deutschen hatten ihre Lektion gelernt.
»Habe ich bei dem Schlag auf den Kopf irgendein Ödem oder so etwas davongetragen?«
»Nicht, dass ich es sehen könnte, Mr. ... Captain Lennox.«
»Ist mein Zustand stabil genug, dass ich entlassen werden kann?«
»Ehrlich gesagt, ich halte es für besser, wenn Sie noch ein wenig bei uns blieben.«
»Und warum genau? Nach Ihren Worten ist meine Kopfverletzung nicht ernst.«
»Sie ist ernst genug, dass wir Sie noch beobachten möchten.« Er versuchte, wenigstens einen Teil
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