Lennox 01 - Lennox
sagte ich. »Leute bezahlen mich, damit ich Dinge für sie herausfinde. Leider haben andere Leute manchmal etwas dagegen, dass Dinge herausgefunden werden.«
»Und warum hat die Polizei Sie in jener Nacht so grob behandelt?«
»Zu mir kommen Menschen, die nicht zur Polizei gehen wollen. Manchmal können sie’s auch nicht. Das wiederum gefällt der Polizei nicht. Ich bin ein Opfer von Berufsneid.« Ich grinste, doch entweder begriff sie den Scherz nicht, oder sie wollte ihn nicht verstehen. Ich beschloss, das Thema zu wechseln. »Ich werde heute Nacht nicht hier sein, Mrs. White. Ich fahre nach Perthshire. Geschäftlich. Nur für eine Nacht. Vielleicht zwei.«
Ich nahm das Kopfschmerzpulver und trank meinen Tee aus. Mrs. White nahm meine leere Tasse, machte aber keine Anstalten, mir nachzuschenken. »Wunderbar, Mr. Lennox.«
7
Die Fahrt nach Perth war eine Reise zurück in der Zeit. Die alte Stadt war alles andere als kosmopolitisch und kam einem vor, als hätten weder der Krieg noch die darauf folgenden Veränderungen an der Gesellschaftsstruktur Großbritanniens sie je berührt. Die Vierziger- und Fünfzigerjahre waren in der Post verloren gegangen.
Vor dem Bahnhof von Perth wartete nur ein Taxi, einer dieser kastenförmigen Wagen von Anfang der Dreißigerjahre. Auch der Fahrer war überraschend alt. Ich bat ihn, mich zum nächsten halbwegs anständigen Hotel zu bringen. Gleich zum Sanatorium zu fahren hatte keinen Sinn. Die Abendbesuchszeit wäre bald vorbei, und es lag in einiger Entfernung von der Stadt in den Bergen oberhalb von Perth. Obwohl ich Bedenken wegen des Alters sowohl von Fahrer als auch Gefährt hatte, fragte ich den alten Mann, ob er mich am nächsten Morgen um zehn Uhr abholen könne.
Das Hotel, zu dem er mich brachte, lag am Tay. Von meinem Zimmer hatte man einen Blick auf den Fluss. Das Bett war durchaus bequem und die Straße draußen durchaus leise, aber ich hatte Schwierigkeiten mit dem Einschlafen. Jedes Mal, wenn ich die Lider schloss, knallten zusammenhanglose Gedanken und Bilder dagegen. Erneut sah ich Lillian Andrews halbnackt, sinnlich in Nebel gehüllt, sah das verzweifelt improvisierte und in keinster Weise überzeugende Verhalten ihres Gatten, der nicht zu ihr passen wollte – die professionelle Art, wie sie Sex als Köder bei ihrem Hinterhalt in der Gasse eingesetzt hatte, wo sie zwar nicht wusste, wieso ich sie verfolgt hatte, aber sehr wohl, dass ich hinter ihr her gewesen war.
Warum war alles so kompliziert? Warum machte ich alles so kompliziert? Ich wusste, dass ich nicht die Finger von der Andrews-Geschichte lassen würde. Geld konnte ich damit nicht verdienen, und niemand bestand darauf, dass ich die Sache weiter verfolgte. Trotzdem würde ich es tun, bis irgendetwas nachgab und sich ein Bild eröffnete, das mir einleuchtete. Vielleicht lag meine Unfähigkeit, den Fall ruhen zu lassen, auch nur an verletztem Stolz, weil ich von hinten eines übergezogen bekommen hatte. Ich versuchte, nicht mehr daran zu denken. Vorerst. Ich hatte Wichtigeres zu tun und wurde sogar dafür bezahlt. Aber mein Kopf schmerzte von dem Hieb, und die Gedanken drängten sich noch immer in den Vordergrund. Ich brauchte eine Ewigkeit zum Einschlafen.
Mein ältlicher Taxifahrer kam pünktlich auf die Minute. Als ich ihm die Adresse des Sanatoriums gab, weit draußen in den Bergen über der Stadt, beäugte er mich misstrauisch.
»Das ist ’ne lange Fahrt.«
»Das glaube ich auch.«
»Das wird teuer.« Offensichtlich machte er sich Sorgen, zum guten Schluss bezahlt zu werden. Ich gab ihm drei Half Crowns.
»Den Rest machen wir hinterher ab. Sie müssen auf mich warten, während ich drinnen erledige, was ich zu erledigen habe.«
Während wir in die Berge fuhren, kam die Sonne heraus, als wollte sie dem Besucher die Schönheit der Landschaft vor Augen führen. Das Sanatorium selbst lag auf einem weiten Grundstück, das steil zu einem Plateau anstieg, auf dem sich ein ausladendes viktorianisches Gebäude erhob. Die kurz gemähten Rasenflächen wichen riesigen Beeten mit Rhododendronsträuchern. Wie es schien, war jedes Fenster im ganzen Haus geöffnet, und an den Mauern und auf dem gesamten ebenen Teil des Grundstücks standen reihenweise Liegestühle. Kein Wunder, dass es die Leute hier nach draußen zog. Auch ich bemerkte den Unterschied zur Luft in Glasgow. Das Atmen ist eine unbewusste Handlung, und man denkt nie an die Luft, die man in seine Lunge saugt, doch hier oben war jeder
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