Lennox 01 - Lennox
ich den Hut abnahm, verschwand jede Wärme.
»Mit wem haben Sie sich diesmal geprügelt?« Ihr Blick war hart. Das konnte der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen brachte.
»Hören Sie, Mrs. White, jemand hat mich gestern Abend im Smog von hinten angegriffen. Hat mir auf den Kopf geschlagen. Im Krankenhaus wollte man überprüfen, ob ich TBC habe oder nicht. Das ist die Wahrheit. Es hatte nichts damit zu tun, dass die Polizei hier war.«
»Anscheinend ziehen Sie Schwierigkeiten an.« Sie fasste meinen Ellbogen, drehte mich herum und musterte meinen Hinterkopf. »Elspeth!«, rief sie ihre zwölfjährige Tochter. »Geh zu Mr. Wilson, dem Fischhändler, und bitte ihn um einen Beutel Eis.«
Mrs. White führte mich ins Wohnzimmer und bot mir auf dem ledernen Polstersofa einen Platz an; dann setzte sie in der Küche Tee auf. Das Wohnzimmer hatte ich bisher nur von der Tür aus gesehen, und so ergriff ich nun die Gelegenheit, es von meinem Platz aus zu studieren. Der gefallene Mr. White war im Krieg Subalternoffizier in der Marine gewesen und stammte aus ziemlich wohlhabender Familie. Das Zimmer war teuer und geschmackvoll eingerichtet. An einer Wand stand eine große Musiktruhe aus Nussbaum, doch vom neuen Medium namens Fernsehen, das allmählich in die besser bestallten Häuser Einzug hielt, war hier noch nichts zu sehen. Ich vermutete, dass der Wohlstand der Whites seit jüngster Zeit der Vergangenheit angehörte. Ein Vitrinenschrank enthielt Gläser und Porzellan, dazu eine halbvolle Flasche Williams and Humbert Walnut Brown Sherry. In der Mitte des Kaminsimses stand eine Uhr aus Marmor und Messing zwischen Fotografien in Art-Deco-Silberrahmen: ein typisches gestelltes Hochzeitbild, jedes Mädchen im Säuglingsalter, ein ernst dreinblickendes älteres Paar mit einem hübschen jungen Mädchen, das unbeholfen neben ihnen stand und das ich augenblicklich als Fiona White erkannte.
Sie kehrte mit einer großen Kanne Tee zurück und goss mir eine großzügige Tasse ein. Währenddessen kam ihre Tochter Elspeth mit einem Ölhautbeutel zurück. Fiona White holte mit der Hand Eis heraus und wickelte es in ein Tuch, das sie sanft auf meinen Nacken drückte. Sie wies mich an, es dort zu halten. Die Schmerzen zweier Abreibungen begannen nachzulassen. Mrs. White rührte zwei Sorten Kopfschmerzpulver in ein Glas Wasser und stellte es mir neben die Teetasse; dann setzte sie sich so weit von mir entfernt, wie es nur ging, in einen großen ledernen Klubsessel.
»Vielen Dank.« Mein Blick fiel wieder auf die Fotografien. »Es muss schwierig sein«, sagte ich und bereute es augenblicklich.
»Was?« Feuerstein glitzerte in ihren grünen Augen.
»Die Mädchen allein aufzuziehen, meine ich.« Ich schaufelte mir die Grube, in die ich getreten war, immer tiefer, und zwar im Eiltempo.
»Ich komme wunderbar zurecht, Mr. Lennox.«
»Das weiß ich. Ich wollte ja auch nicht sagen ... Ich meine, Sie leisten großartige Arbeit. Ich stelle mir eben nur vor, dass es nicht einfach ist. Alles allein zu tun, meine ich.«
Der harte Stein funkelte weiterhin in Fiona Whites Augen. Der Tod ihres Ehemannes war in einem Ozean aus Statistiken untergegangen. Der Verlust eines niederrangigen Marineoffiziers zählte nur in Verbindung mit den Tausenden anderen gefallenen Seeleuten. Das Ende seines Lebens hatte, für sich genommen, keinerlei Bedeutung für die Kriegsanstrengungen besessen. Doch für Fiona White und ihre Töchter war es, als wäre die Sonne ausgelöscht worden; der Mittelpunkt ihres Universums hatte zu bestehen aufgehört. Und mit seinem Tod hatte auch jener Mensch das Leben verloren, der Fiona White gewesen war. In gewisser Weise genauso wie der Junge, der am Ufer des Kennebecasis gespielt hatte und irgendwann unterwegs gestorben war, während die Erste Kanadische Armee sich tötend und blutend ihren Weg durch italienische Städte und Dörfer mit Namen aus dem Reiseführer bahnte. Wir waren beide Opfer des Krieges.
»Tut mir leid«, sagte ich. »Ich hätte nicht ...«
»Nein, hätten Sie nicht«, unterbrach sie mich schroff. »Wie ich meine Kinder aufziehe, geht einzig und allein mich etwas an.« Verlegenes Schweigen; dann fragte sie: »Womit verdienen Sie Ihr Geld, Mr. Lennox? Was es auch ist, es scheint Ihnen vor allem Schwierigkeiten einzubringen. Ich glaube keinen Augenblick lang, dass Sie den Schlag auf den Kopf rein zufällig erhielten.«
»Ich habe es Ihnen gesagt, als ich die Wohnung anmietete. Ich bin Rechercheagent«,
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