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Lennox 01 - Lennox

Titel: Lennox 01 - Lennox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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Atemzug wie ein Schluck klaren kalten Bergquellwassers.
    Die Empfangsschwester beäugte mich mit der üblichen Hochnäsigkeit, als ich erklärte, ja, ich wisse, dass keine Besuchszeit sei, und nein, ich könne nicht später wiederkommen, weil mein Chef darauf bestehe, dass ich am Nachmittag wieder an meinem Arbeitsplatz wäre, ich jedoch meine Cousine unbedingt sehen wolle. Die Schwester überprüfte noch einmal den Namen und sagte mir, ich solle mich in den Garten setzen, sie werde meine Cousine zu mir bringen.
    Ich hatte eine gebrechliche Armenhäuslerin mit fahler Haut erwartet, die in ein blassblaues Taschentüchlein mit Spitzenbesatz hustete, wie die Kameliendame.
    Wilma Marshall sah allerdings erheblich robuster aus als in dieser Fantasievorstellung. Sie war älter, als man mir gesagt hatte, zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig. Sie war brünett, knapp über eins fünfzig groß und, soweit ich es unter dem alles verdeckenden Krankenhausnachthemd sagen konnte, an allen wichtigen Stellen gut gepolstert. Ihr Gesicht war ohne Make-up oder Lippenstift und hübsch, nicht herausragend, aber ich konnte sehen, was Entenschwanz-Bobby gemeint hatte, als er sagte, sie habe »irgendwie Klasse«. Ich vermutete trotzdem, dass sie für Tam McGahern nur wenig mehr als eine Ablenkung gewesen war. Eine von vielen, die er dank seiner Stellung genießen konnte.
    Ich stand auf und lächelte, als die Empfangsschwester sie über den Rasen zu mir führte.
    »Wilma«, sagte ich, als sie näher kamen. »Du siehst schon viel besser aus.« Sie wirkte verwirrt, was ja auch nicht verwunderlich ist, wenn man plötzlich jemandem gegenübersteht, der eindeutig nicht der Vetter ist, den zu sehen man erwartet hat. Doch sie ließ es durchgehen und sagte nichts zur Schwester.
    »Danke, Schwester«, sagte ich und wartete, bis sie außer Hörweite war; dann bot ich Wilma einen Platz an.
    »Was ’n los?« Wilma sprach mit breitem Gorbals-Dialekt, und die »gewisse Klasse« verflüchtigte sich rasch, wenn man sie reden hörte. Mit gerunzelter Stirn biss sie sich in die fleischige Unterlippe. »Ich dachte, ihr habt gesagt, ihr lasst mich jetzt in Ruhe.«
    Nun begriff ich, weshalb sie mitgespielt hatte: Sie hielt mich eindeutig für jemand anderen.
    »Tun wir auch«, sagte ich. Ich wollte so lange auf der Welle reiten, wie ich konnte. »Nur müssen wir eben vorsichtig sein.«
    »Ich hab alles gesagt, was ich weiß. Und ich hab gesagt, dass ich mit keinem anderen drüber spreche.« Ihr Stirnrunzeln vertiefte sich. »Wieso sind Sie hier?«
    »Ich weiß, dass Sie uns alles gesagt haben, Wilma. Und ich weiß, dass es nicht leicht für Sie ist, alles noch einmal durchzugehen.« Ich redete wie ein Polizist; mein Instinkt sagte mir, dass sie mich genau dafür hielt. »Aber es ist möglich, dass Sie sich jedes Mal, wenn wir über die Sache reden, vielleicht ein bisschen besser erinnern.«
    »Was soll ’n das heißen? Was reden Sie ’n da?« Weitere Furchen gruben sich in ihre blasse Stirn. Ich stellte die falschen Fragen. Ich wusste nicht, für wen sie mich hielt, für einen Polizisten jedenfalls nicht. Misstrauisch kniff sie die Augen zusammen; dann blickte sie über die Schulter nach der Schwester.
    »Hören Sie zu, Wilma«, sagte ich so ruhig und bestimmt, wie ich konnte. »Ich soll herausfinden, wer Tam McGahern ermordet hat. Und ich soll dafür sorgen, dass Sie in Sicherheit sind und geschützt werden.«
    Ich sah in ihrem Kopf sämtliche Alarmglocken läuten. »Wer sind Sie? Was wollen Sie? Sind Sie von der Polizei?«
    »Ich bin ein Freund, Wilma. Ich will Ihnen helfen. Wie ich schon sagte – ich soll herausfinden, wer Tam getötet hat. Ich möchte Ihnen bloß ein paar Fragen über die Nacht stellen, in der es passiert ist.«
    »Wie haben Sie mich gefunden?« Wilmas Miene schlug von Misstrauen über Unsicherheit zu Angst um. »Niemand sollte mich finden.«
    »Ich habe Ihr Taschentuch in der Wohnung über dem Highlander gefunden. Es waren winzige Blutspritzer darauf. Anfangs hatte ich nicht daran gedacht, aber später fiel mir ein, dass es vielleicht mit TBC zu tun haben könnte.«
    »Ich kann nicht mit Ihnen reden. Ich muss jetzt gehen.« Sie wurde immer aufgeregter.
    Ich legte meine Hand auf ihre. »Sie brauchen keine Angst zu haben, Wilma. Niemand sonst weiß, dass Sie hier sind. Ich werde niemandem von Ihnen erzählen. Ich muss nur wissen, wer Tam erschossen hat.«
    »Ich will, dass Sie gehen.« Wilma stand auf. »Ich hab in der Nacht nichts und

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