Lennox 01 - Lennox
sein Kleingeld verstauen können. Jonny Cohen besaß ein Aussehen, wie man es normalerweise mit den maskulineren Hollywoodstars in Verbindung bringt, ein Typ, nach dem Frauen sich verzehrten. Allerdings vergeblich: Als Ehemann war Jonny Cohen ein Muster an Treue, als Vater liebevoll und beschützerisch, und als Gangster der bei Weitem intelligenteste der Drei Könige – gerissen, gnadenlos und brandgefährlich. Aber gastfreundlich.
»Hallo, Lennox«, sagte Jonny mit seinem vollen Bariton und lächelte mich strahlend an. »Kommen Sie herein ...«
Im Leben trifft man auf Menschen, die man wider Willen einfach mögen muss. Jonny Cohen war so ein Mensch. Man ertappte sich selbst dabei, wie man es als nebensächlich abtat, dass er ein gewalttätiger Verbrecher war. Dabei bestand kein Zweifel, dass man Jonny lieber nicht in die Quere kam; die Cohen-Bande hatte den städtischen Krankenhäusern genügend Kunden verschafft und gelegentlich, wenn es sich nicht vermeiden ließ, auch dem Totengräber. Doch nach Einstein ist alles relativ, und in Glasgow konnte man niemandem ein paar Morde zum Vorwurf machen. Außerdem hatte Jonny seine eigene Ethik. Im Gegensatz zu den beiden anderen Königen beschäftigte er keine Kredithaie; sein Geld stammte hauptsächlich aus illegalem Glücksspiel, Prostitution und mehreren Restaurants und Nachtklubs.
Vor allem aber war Jonny Cohen ein Räuberbaron: Sein Erfolg lag in der grausamen Effizienz der bewaffneten Raubüberfälle, die er plante, finanzierte und bei mehr als einer Gelegenheit auch selbst ausführte.
Jonny führte mich in ein großes, offenes Wohnzimmer, in dem modernistische Möbel standen, ähnlich denen im Andrew’schen Haus. Auch hier stand ein Fernseher in der Ecke. Jonny bemerkte, wie ich das Gerät betrachtete.
»Rachaels Idee«, erklärte er. »Sie hat mir keine Ruhe gelassen, bis ich einen gekauft habe. Einen Ferranti T dreizehn-fünfundzwanzig. Hat mich achtundfünfzig verdammte Guinees gekostet. Prinzessin Elizabeth’ Krönung wird im Fernsehen übertragen. Haben Sie auch einen?«
Ich musste lachen, wie sehr er meine finanziellen Möglichkeiten überschätzte. »Nein, nichts für mich. Ich bleibe beim Radio.«
Er bot mir einen Platz an. So eine Art Gangster war der Scheene Jonny Cohen: Er bot einem einen Platz an. Er war ein liebenswerter Kerl, solange er nicht auf dem Banktresen stand, eine Strumpfmaske über dem Kopf, die sein hübsches Gesicht verbarg, und einem eine abgesägte Schrotflinte unter die Nase hielt.
»Was kann ich für Sie tun, Lennox?«
»Ich untersuche den Mord an Tam McGahern. Und da habe ich mich gefragt, ob Sie mir vielleicht helfen können.«
»Ich habe gehört, die Polizei hatte Sie wegen seinem Bruder am Haken.«
»Der Haken hat aber nicht gefasst. Ich hatte mit Frankie in der Nacht, in der er getötet wurde, einen kleinen Zusammenstoß. Er wollte, dass ich herausfinde, wer Tam umgebracht hat. Ich sagte Frankie, ich sei nicht interessiert.«
»Und warum tun Sie es jetzt doch?«
»Weil ich ein widersprüchlicher Mensch bin. Das macht mich zu einem interessanten und komplexen Charakter. Typen in blauen Uniformen haben mir ständig gesagt, ich soll mich raushalten.«
Jonny ging zu einem Getränkewagen, der aussah, als hätte er eigentlich ein Raumschiff werden sollen, und schenkte uns beiden Scotch mit Soda ein. »Und wer bezahlt Sie?«, fragte er, als wüsste er es nicht.
»Willie Sneddon.«
Jonny lächelte schief. »Wenn Sie für seine Gang arbeiten, haben Sie die Menge an Hirnschmalz dort um tausend Prozent erhöht.«
»Ich arbeite für keine Gang. Das wissen Sie, Jonny. Aber Sneddon hat mich engagiert, um zu tun, was die Polizei nicht tun kann oder nicht tun will.«
»Okay. Wie kann ich Ihnen helfen?«
Ich berichtete ihm das Meiste, was ich über Tams Ermordung wusste. Ich erzählte ihm auch von Wilma Marshalls Verschwinden aus dem Sanatorium in Perth und dem gut aussehenden, freundlichen großen Kerl, der meine Bekanntschaft gesucht hatte, ehe er mir Wilma vor der Nase wegschnappte. Sneddon hatte ich nichts von Wilmas Überzeugung gesagt, dass der falsche Zwilling erschossen worden war; deshalb durfte auch Jonny nichts davon erfahren.
Er saß einen Augenblick ruhig da und betrachtete seinen Drink.
»Tam McGahern war ein übler Mistkerl. In unserer Branche bleibt es nicht aus, dass wir anderen Menschen wehtun, Lennox. Aber mehr steckt nicht dahinter. Es geht nur ums Geschäft. McGahern aber hat Menschen wehgetan – mehr
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