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Lennox 01 - Lennox

Titel: Lennox 01 - Lennox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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Dinge waren glasklar. Erstens, wenn die Bestechung nicht funktioniert hätte, hätte Lillian Andrews mit mir gebumst, damit ich mich aus ihren Angelegenheiten raushielt. Das Geld hätte ich wahrscheinlich trotzdem behalten dürfen.
    Zweitens hatte der Name Margot Taylor eine Reaktion ausgelöst, die Lillian hastig verborgen hatte.
    Und drittens hatte sich mein Verdacht ihr gegenüber bestätigt. Sie hatte mich mit »Mr. Lennox« angeredet.
    Ich hatte ihr meinen Namen aber gar nicht genannt.

10
     
    Ich erwachte mitten in der Nacht. Mein Puls dröhnte mir in den Ohren. Der Albtraum schwebte davon, ehe ich ihn fassen konnte, doch er hatte etwas mit einem jungen, verängstigten Gesicht zu tun, das mich verzweifelt anschrie. Anbettelte. Auf Deutsch.
    Ich rauchte im Dunkeln eine Zigarette. Wenn ich einen Zug nahm, tauchte ihr Glimmen die Wände in ein mattes Rot, das gleich wieder erlosch. Ich wusste nicht wieso, aber ich musste an meine Heimat denken. Kanada. Im Laufe der Jahre war mein kanadischer Akzent ein wenig undeutlich geworden, und ich wurde oft für einen Amerikaner gehalten, manchmal auch für einen Engländer oder sogar für einen Iren. Wenn man mich bedrängte, was nur selten vorkam, sagte ich, ich käme aus Rothesay, worauf die Leute meist erstaunt reagierten; dabei sagte ich die Wahrheit. Nur war das Rothesay, das ich meinte, nicht das, an das die Leute dachten: das trostlose Ausflugsziel der Glasgower auf der schottischen Isle of Bute. Mein Rothesay lag woanders, sehr weit weg, in mehr als einer Hinsicht. Von diesem Rothesay trennten mich ein Ozean und ein Lebensalter.
    Und so lag ich rauchend im Dunkeln und dachte an Rothesay und Saint John. An Fahrradtouren und Kanufahrten den Kennebecasis entlang. An die exklusive höhere Schule, die ich besucht hatte. An das große Haus aus der Jahrhundertwende, in dem ich aufgewachsen war und das immer nach altem Holz duftete. An den Jungen mit den großen Ideen und noch größeren Idealen, der in Europa gestorben war, ein Opfer des Krieges.
    Ich war nicht das einzige Opfer. Während ich im Dunkeln lag und mich selbst bemitleidete, hörte ich das gedämpfte Schluchzen einer Frau. Es kam aus Mrs. Whites Wohnung.
     
    Die Morgensonne strampelte sich wieder einmal ab, um sich durch die grauen Wolken aus den Walzwerks- und Fabrikschornsteinen hindurch bemerkbar zu machen, die über der Stadt hingen. Ich fuhr mit dem Wagen nach Newton Mearns im Süden Glasgows. Die Gründung des Staates Israel stand den Menschen noch vor Augen, und der neueste Witz war, Newton Mearns wegen seiner überwiegend jüdischen Einwohner das Tel Aviv am Clyde zu nennen. Damit der gute alte antisemitische Witz ausstarb, waren eben mehr als nur ein paar Konzentrationslager nötig. Aber um fair zu bleiben, gehörten die Offenheit und Freundlichkeit der Glasgower zu den Dingen, die ich an dieser Stadt mochte. Glasgow war eine harte, dunkle, gewalttätige Stadt, und die Warmherzigkeit seiner Einwohner wirkte oft fehl am Platze. Wahrscheinlich war Glasgow die am wenigsten antisemitische Stadt Europas, aber keine zehn Jahre nach der Befreiung der KZs war das eine sehr relative Aussage.
    Glasgows jüdische Gemeinde verdankte ihre Entstehung vor allem der Täuschung: Viele jüdische Familien waren auf der Flucht vor den russischen Pogromen des 19. Jahrhunderts im Glasgower Hafen an Land gesetzt worden, nachdem die hinterhältigen Kapitäne ihnen versichert hatten, sie wären in New York eingetroffen. Eine dieser Familien, die in der Hoffnung, einen Blick auf die Freiheitsstatue zu erhaschen, mit großen Augen Clydebank abgesucht hatte, waren die Cohens gewesen. Wie viele andere jüdische Familien hatten bittere Erfahrungen sie eine unnachgiebige Härte gelehrt. Ein Enkel der Einwanderer war Jonny Cohen. Der Scheene Jonny.
    Der zweite der Drei Könige.
    Ich hatte Jonny angerufen, ehe ich zu ihm fuhr. Wir hatten uns geeinigt, dass ich ihn zu Hause aufsuchte. Im Gegensatz zu Sneddon wohnte Jonny Cohen in einem modernen Gebäude, das irgendein aufstrebender Londoner Architekt entworfen hatte. Vom Aussehen her hätte es eher nach Beverly Hills gepasst.
    Auf Jonnys Auffahrt suchte man vergebens nach Gorillas in Röhrenhosen. Es gab keinen Hinweis, dass hier jemand anders wohnte als ein erfolgreicher Geschäftsmann und Familienvater.
    Ich klingelte an der Tür. Ein großer Mann mit gebräunter Haut und dunklem Haar öffnete mir. Sein Gesicht war breit und gut aussehend, und in der Spalte in seinem Kinn hätte er

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