Lennox 01 - Lennox
ihrem Alter gefragt, aber ich schätzte sie auf Mitte dreißig, vielleicht ein, zwei Jahre älter als ich selbst. In Großbritannien nahm man zur Scheidung eine Haltung ein, wie man sie anderswo vor hundert Jahren gepflegt hatte, und Schottland hinkte wahrscheinlich noch mal ein, zwei Jahrhunderte hinterher. Geschieden zu sein machte May zu einer Aussätzigen, und ihre Chancen auf Wiederheirat standen gering. Infolgedessen spielte sie die traurige, verzweifelte Rolle der Lebedame. May und ich waren gelegentlich Spielgefährten. Unsere Beziehung ging nicht besonders tief; dafür war sie problemlos und angenehm.
Sollte ich den Eindruck erweckt haben, ich hätte am schottischen Scheidungsrecht etwas auszusetzen, dürfen Sie mich nicht falsch verstehen: Ich hatte gute Gründe, dankbar dafür zu sein. Wenn ich nicht gerade für einen der Drei Könige arbeitete, half ich Ehepaaren aus der Mittelschicht durch die rechtlich erforderliche Pantomime.
May half mir bei diesen Scheidungsfällen. Die Choreografie sah in der Regel vor, dass ich May und dem Ehemann ein gemeinsames Zimmer in einem Hotel besorgte. Dort zogen sie sich Schlafanzüge über die Kleidung und legten sich zusammen ins Bett, und ich kreuzte mit einem Hotelangestellten auf, der bezeugte, sie in flagranti erwischt zu haben. Das Hausmädchen oder der Portier unterschrieb dann eine Aussage und bekam das vereinbarte Honorar, und der zukünftige Geschiedene verzog sich. Es gab keine schäbige Masche, die noch schäbiger gewesen wäre.
Mit dem Taxi fuhr ich vom Horsehead zu May. Von ihrer Wohnung konnte ich später zu Fuß zu meiner Bleibe gehen. May schenkte mir einen Whisky ein, kaum dass ich hereingekommen war, und wir setzten uns aufs Sofa. Sie war nicht hübsch, doch sie verstand mit Make-up das Beste aus ihren ebenmäßigen Zügen herauszuholen. Vom Hals abwärts allerdings war sie ein Kunstwerk. Als ich ankam, trug sie eine weiße Bluse und einen schwarzen Bleistiftrock, der sich an ihre verlockenden Rundungen schmiegte.
»Wie stehen die Dinge, Lennox?«, fragte sie.
»Steif und hart. Wie immer, wenn ich dich sehe. Und bei dir?«
»Wie üblich. Hast du Arbeit für mich?«
»Nein«, sagte ich. »Jedenfalls noch nicht. Und wenn etwas kommt, wird es wahrscheinlich kein Scheidungsfall.«
»Also, was kann ich für dich tun?«, fragte sie. Die Andeutung von Vorsicht ärgerte mich.
»Ich wollte nur Hallo sagen«, sagte ich. »Brauche ich einen Grund dazu?«
»Nicht, wenn du es nicht anders willst.« Sie stand auf und schenkte sich noch einen Gin ein. Ich war noch bei meinem Scotch. Das war mir an May früher schon aufgefallen: Sie nahm immer zwei, drei Gin, ehe es losging. Sie war dann nicht betrunken. Es reichte gerade, damit das, was wir tun würden, wie wir beide wussten, ein bisschen an Schärfe verlor. Die Vorstellung stärkte mein Selbstvertrauen ins Unendliche.
»Arbeitest du noch immer im Hotel?«
»Ja, noch immer.«
Wahrscheinlich gibt es irgendein physikalisches Gesetz, das verhindert, dass Small Talk beliebig klein werden kann, und nach meinem zweiten Whisky und ihrem vierten Gin legte ich los. Sie führte mich ins Schlafzimmer; dann ging sie ins Bad, um sich zurechtzumachen. Ich zog mich aus und legte mich aufs Bett, eine Player’s rauchend. Die gelbe Blümchenmustertapete war vermutlich einmal weiß gewesen: May rauchte noch mehr als ich. Vereinzelte Möbel und Nippes versuchten eine gediegene Atmosphäre zu erzeugen. Plötzlich fühlte ich mich niedergeschlagen.
May hellte meine Stimmung auf, indem sie bis auf Strümpfe und Strumpfgürtel nackt ins Zimmer kam. Sie legte sich neben mich aufs Bett, und wenig mehr als teilnahmslos ergaben wir uns dem Beischlaf. Immerhin machte ich vorher meine Zigarette aus: In Schottland hätte mich das zu einem zweiten Rudi Valentino gemacht.
Danach machte May Kaffee und brachte ihn ins Schlafzimmer. Ich zündete eine Zigarette für sie und eine für mich an.
»Ist dir nie nach einem neuen Anfang?«, fragte sie aus dem Nichts.
»Das ist mein neuer Anfang«, erwiderte ich und blies einen dünnen Rauchring zur rissigen Gipsdecke. »Ich habe das Leben reich und zufrieden begonnen. Das hält man nicht lange aus. Jetzt ist mein Leben viel bunter. Hauptsächlich grün und blau.«
»Es ist mein Ernst. Ich möchte raus aus dieser Stadt, Lennox. Ich möchte heiraten und Kinder haben, ehe es zu spät ist.«
»May ...«
»Komm nur nicht ins Schwitzen«, sagte sie und lachte bitter. »Das soll kein Antrag sein.
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