Lennox 01 - Lennox
keimte, Profi zu werden.
Eines Tages spielten wir gegen eine andere Privatschule, die King’s Collegiate. King’s lag in Windsor in Nova Scotia, und das hätten wir als schlechtes Omen betrachten sollen, denn angeblich war das Eishockey in Windsor erfunden worden. Jedenfalls war in der gegnerischen Mannschaft ein Junge namens MacDonald. Er war nicht groß genug für einen gefährlichen Stürmer, aber schnell wie der Blitz. Er spielte auf dem rechten Flügel und war mein Gegenspieler.
Anmut bringt man mit Eishockey normalerweise nicht in Verbindung, aber MacDonald war anmutig. Jedes Mal, wenn ich den Puck hatte, kam er heran und schoss an mir vorbei. Kein Check, kein Körperkontakt, nur ein roter Blitz, und der Puck war weg. Was ich auch tat, MacDonald sah es voraus. Was immer mir einfiel, er ahnte es. Ich fühlte mich deklassiert und ausmanövriert. Und das mochte ich gar nicht.
Und jetzt gab mir diese Frau namens Lillian Andrews genau das gleiche Gefühl.
Als wir am Andrews’schen Haus eintrafen, war es verlassen, aber es war erkennbar nicht übereilt geräumt worden als Reaktion auf Johns unerwarteten Tod: Das Maklerschild, an dem wir auf dem Weg zur Auffahrt vorbeikamen, und die nackten Fenster verrieten, dass es genügend Vorwarnzeit und Planungsspielraum gegeben hatte, ehe der Vogel ausgeflogen war.
Ich parkte auf der Auffahrt, und ich hätte schwören können, dass mein Atlantic sich ächzend ein paar Zentimeter hob, als Twinkletoes und Tiny ausstiegen. Ich wies Tiny an, sich an die Hintertür zu lehnen. Twinkletoes und ich benötigten dann nur zehn Minuten, um uns zu vergewissern, dass das Haus gründlich geräumt worden war. Keine Möbel, keine persönlichen Gegenstände. Ich brauchte auch keine Bodenbretter aufzustemmen oder an den Badkacheln zu hebeln; ich wusste auch so, dass es nirgendwo versteckte Beutel mit Bargeld und falschen Pässen gab.
Ich stand mitten in dem Salon, in dem es jetzt keine niedrigen modernen Möbel mehr gab, und starrte Twinkletoes und Tiny mit leerem Blick an, während ich mir überlegte, wie es nun weitergehen sollte. Sie antworteten mit nicht minder leeren Blicken. Schließlich sagte ich ihnen, es hätte keinen Sinn, hier herumzutrödeln. Ich fuhr sie zu meiner Bleibe zurück, wo Twinkletoes den Sunbeam geparkt hatte. Ich sagte ihnen, für heute sei Feierabend, und ich würde Sneddon anrufen, wenn ich sie wieder bräuchte. Was ich tatsächlich brauchte, war eine Auszeit ohne meine Zwei-Gorilla-Eskorte. Ich brauchte Zeit zum Nachdenken. Der Auszug aus dem Haus in Bearsden war weder übereilt noch ungeplant erfolgt. Und weil ein Makler in den Verkauf des Besitzes eingeschaltet worden war, musste der Erlös irgendwohin fließen. Wahrscheinlich hatte Lillian das alles vorausgeplant. Vielleicht sogar John Andrews’ tragischen Unfall auf der Landstraße.
Erneut überlegte ich, dass Lillian genauso um mich herumtänzelte wie MacDonald, der Plagegeist meiner Jugendzeit auf Kufen, der mich auf dem Eishockeyfeld wie einen Fußgänger hatte aussehen lassen. Vor Kriegsausbruch hatte MacDonald bei den Ottawa Senators einen Profivertrag unterschrieben. Dann waren ihm in einem Minenfeld bei Anzio die Beine abgerissen worden. Ich glaube nicht, dass die Senators seinen Vertrag erneuert haben.
Irgendwie musste ich dafür sorgen, dass auch Lillian den Boden unter den Füßen verlor.
Mir war nicht nach dem Horsehead, aber ich ging auf einen Schluck hin. Ob es daran lag, dass ich an Lillian Andrews’ Beine dachte, weiß ich nicht, aber ich stellte fest, dass mir nach sanfterer Gesellschaft war, als ich sie im Horsehead finden konnte.
May Donaldson war die Sorte Frau, die jeder Mann kennen sollte: so entgegenkommend wie anspruchslos. Die meisten Frauen lassen einen für die Eintrittskarte hart arbeiten. May hingegen gab einem von vornherein ein Saisonticket. Und sie legte sogar noch ein paar Auswärtsspiele drauf.
May Donaldsons Wohnung befand sich im West End, nicht allzu weit von meiner Bleibe, in einer der allgegenwärtigen viktorianischen Mietshausreihen, die sich um Glasgows schwarzes Herz schlingen. Ich wusste nicht viel über May, aber ihre Lebensgeschichte war nicht typisch für die einer Frau aus der Glasgower Arbeiterschicht. Irgendwann hatte irgendetwas sie aus dem Gleis geworfen. Mir war zu Ohren gekommen, dass sie mal mit einem Bauern verheiratet gewesen sei. Offenbar hatte der Bauer sie verlassen, um eine andere Furche zu beackern.
Als Gentleman hatte ich May nie nach
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