Lennox 02 - Lennox Rückkehr
die Lage, dem einzigen Menschen auf der Welt, der mir etwas bedeutet, weiterzuhelfen. Sammy ist kein übler Junge. Er ist nur manchmal leichtsinnig. Unreif. Ich fürchte, dass er sich mit schlechten Leuten eingelassen hat. Dass er in Schwierigkeiten geraten sein könnte.«
»Ich verstehe.« Ich nickte zu der Tür, die sie noch immer nicht geöffnet hatte. »Wollen wir?«
Sheila nickte und schloss auf.
»Jemand ist hier gewesen«, sagte sie als Erstes, als wir ins Wohnzimmer kamen. Sicher, es herrschte ein völliges Durcheinander. Einiges davon war typisch Junggeselle – überquellende Aschenbecher, Bierflaschen mit klebrigen Böden und Whiskygläser, die sich nicht von den teuren Nussbaumtischchen lösen lassen wollten, ein Jackett, das unordentlich über einer Sessellehne hing, ein paar schmutzige Teller und eine halb leere Kaffeetasse. So was war mir selbst nicht ganz unbekannt. Doch die Unordnung hatte noch etwas anderes an sich, ein fremdes, zweckgerichtet wirkendes Element. Als hätte jemand nach etwas gesucht, und zwar in aller Eile.
»Sammy?«, rief Sheila und durchquerte das Wohnzimmer rasch in Richtung Korridor. Ich machte zwei schnelle Schritte und hielt sie auf, indem ich sie am Arm packte. Ihre Haut fühlte sich an meinen Fingerspitzen warm und geschmeidig an.
»Lassen Sie mich schauen«, sagte ich. »Sie warten hier.« Ich hatte die andere Hand bereits um den Totschläger aus lederbezogenem Federstahl geschlossen, den ich in der Tasche trug. Als ich im Flur war, außer Sicht von Sheila, zog ich den Totschläger hervor.
»Mr. Pollock?«
Nichts.
Ich folgte dem Gang. Ein elfenbeinfarbenes Telefon stand auf einer brusthohen Wandkonsole, daneben noch ein voller Aschenbecher. Mir fiel auf, dass einige Stummel Filter hatten, die man nicht oft sah, und einen Rand aus rotem Lippenstift trugen. Einen Stummel steckte ich mir in die Jackentasche. Dann ging ich weiter und schaute in jedes Zimmer, an dem ich vorbeikam. Die Wohnung war hell und teuer möbliert, aber jedes Zimmer war auf den Kopf gestellt worden. Papiere und anderer Krempel lagen auf den Fußböden verstreut. Ich stieg die Treppe hinauf. Im Obergeschoss bot sich mir das gleiche Bild. Schließlich kam ich zu Pollocks Schlafzimmer. Der Boden war mit allem möglichen Zeug übersät. Etwas Glänzendes fiel mir ins Auge; es funkelte im Sonnenlicht. Als ich sicher war, dass wir allein in der Wohnung waren, rief ich nach unten und bat Sheila hochzukommen.
»Sie haben gesagt, Sie wären sicher, dass jemand hier gewesen ist. Die Wohnung hat also nicht so ausgesehen, als Sie zuletzt hier waren?«
Sie schüttelte den Kopf. »Sammy war nie häuslich, aber so was ... hier sieht es aus, als wäre eingebrochen worden.«
Ich machte eine Kopfbewegung zum Nachttisch. Darauf standen ein Aschenbecher aus Bleikristall und ein ziegelsteingroßes goldenes Tischfeuerzeug. »Kein Einbrecher würde so etwas stehen lassen. Das war kein Einbruch, das war eine Durchsuchung.« Ich bückte mich und hob den glitzernden Gegenstand vom Boden auf, der mir aufgefallen war. Es war eine kleine polierte Blechdose mit Stahlscharnieren, die offen auf dem Boden gelegen hatte. Ich sah, dass der Inhalt auf den Fußboden ausgekippt worden war.
»Hat Ihr Bruder eine Krankheit, von der ich wissen sollte?« Ich legte Spritze und Kanüle in die Blechdose zurück und hielt sie Sheila hin. »Ist er zuckerkrank?«
Sheila schaute in die Dose. Ihr Gesicht lief rot an. »Nein. Er hat nichts.«
»Aber das hier sagt Ihnen was?«, fragte ich.
Sie schaute mir einen Augenblick lang ins Gesicht; dann antwortete sie: »Ich habe viel mit Musikern zu tun. Geht ja nicht anders bei meiner Arbeit. Musiker und Künstler ... nun ja, sie experimentieren mit Drogen.«
»Mit Rauschgift, meinen Sie?«
»Ja. Aber ich glaube nicht ... ich hatte jedenfalls nie einen Grund zu glauben, dass Sammy bei so einem Blödsinn mitmacht.«
Einen Augenblick lang musterten wir beide schweigend die Spritzendose aus Blech in meiner Hand, als würde sie uns ihre Geheimnisse mitteilen, wenn wir sie nur lange genug anstarrten.
»Natürlich könnte Sammy die Wohnung selbst verwüstet haben«, sagte ich und steckte die Spritzendose ein. Ich hätte überzeugender klingen können. »Vielleicht ist er zurückgekommen, um etwas abzuholen. Sich eine Tasche zu packen.«
»Ich schaue in den Schränken und Schubladen nach«, sagte Sheila dumpf. »Vielleicht fällt mir auf, ob etwas fehlt. Wenn er Kleidung mitgenommen hat ...« Sie
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