Lennox 02 - Lennox Rückkehr
Claire. Aber er kannte auch ein paar Kerle, die mir nicht gefallen haben. Raue Typen.«
»Namen?«
»Tut mir leid. Ich habe sie nur einmal gesehen, wie sie vor dem Club auf Sammy gewartet haben. Sie sahen aus, als ob ... ich weiß nicht ... als ob sie nicht gesehen werden wollten. Ende zwanzig, einer ungefähr eins siebzig groß, dunkles Haar, der andere ein bisschen kleiner, rotblondes Haar. Der mit dem dunklen Haar hat eine Narbe auf der Stirn, die aussieht wie ein Halbmond.«
Ich sah sie gedankenverloren an. Sie erwiderte meinen Blick eifrig, offensichtlich beruhigt, dass sie tiefe ermittlerische Überlegungen angeregt hatte. Tatsächlich überlegte ich mir, wie es wohl wäre, sie auf meinem Schreibtisch flachzulegen.
»Okay. Danke«, sagte ich, als das Bild vollständig war. »Könnten wir vielleicht zur Wohnung Ihres Bruders fahren? Ich würde mich dort gern ein wenig umsehen.«
Sie blickte auf die Uhr. »Ich muss heute Abend den Schlafwagen nach London erwischen. Vorher habe ich noch viel zu tun. Könnten wir gleich gehen?«
Ich stand lächelnd auf. »Mein Wagen parkt um die Ecke.«
***
Der Atlantic hatte in der Sonne gestanden, und ich kurbelte die Fenster hinunter, ehe ich die Tür aufhielt, damit Sheila Gainsborough einsteigen konnte. Dabei ertappte ich mich, wie ich einen Blick die Straße hoch und runter warf in der verzweifelten Hoffnung, dass irgendein Bekannter – egal wer – beobachtete, wie diese wunderschöne, reiche und berühmte Frau in mein Auto stieg. Zwei Jungen gingen vorbei, ohne hinzusehen, gefolgt von einem alten Mann mit Arbeitermütze, der trotz der Hitze eine schwere, dicke blaue Jacke und ein Halstuch trug. Er blieb nur kurz stehen, um auf den Gehsteig zu spucken. Ich nahm nicht an, dass er mir damit seine Anerkennung ausdrücken wollte.
Selbst bei offenen Fenstern war es drückend heiß im Wagen, und in der Enge stieg die Luft mir zu Kopf: heißes Holz und Leder, vermischt mit dem Lavendel aus Sheilas Parfüm und dem Hauch Moschus von ihrem Körper.
Sammy Pollocks Wohnung lag am Westrand des Stadtzentrums, aber nicht ganz im Westend. Wir folgten wortlos der Sauchiehall Street zu der Stelle, wo die Hausnummern in die Tausender zu klettern begannen. Sheila forderte mich auf, nach links abzubiegen. Ein schmaler Park durchbrach das Einerlei der dreistöckigen georgianischen Reihenhäuser. Auf dem Gras spielten ein paar Kinder; ihre Mütter saßen, die Kinderwagen neben sich, träge auf den Parkbänken, ausgelaugt von Sommerhitze und Mutterschaft.
Pollocks Wohnung erstreckte sich über zwei Etagen eines dieser halbschicken, ein wenig düsteren Reihenhäuser. Früher hätten die Mauern aus Sandstein golden gefunkelt. Über der Tür war ein Bogen aus einstmals strahlend buntem Glas und Bleirahmen, das beinahe wienerisch anmutete. Doch Glasgow ist eine Stadt der unablässigen Arbeit. Schmutziger Arbeit. Die endlosen Wolken aus Rauch und Ruß hatten den Stein geschwärzt und das Glas stumpf gemacht. Das Haus sah aus wie ein Pfarrer in Gehrock und Kniebundhosen, nachdem man ihn ein paar Schichten lang in die Mine geschickt hatte.
»Hatten Sie immer einen Schlüssel?«, fragte ich Sheila, als sie aufschloss.
Sie seufzte. »Mr. Lennox, ich weiß doch, dass Sie längst gemerkt haben, wie der Hase läuft. Die Wohnung gehört mir. Ich habe sie gekauft und eingerichtet und lasse Sammy darin wohnen. Ich gebe ihm auch ein Taschengeld.«
»Wie alt ist Sammy?«
»Dreiundzwanzig.«
»Verstehe«, sagte ich. Ich stellte mir einen Dreiundzwanzigjährigen vor, der von einer Schwester alles geschenkt bekam, die selbst noch keine dreißig sein konnte. Ich dachte an die Zeit, als ich dreiundzwanzig gewesen war und mich mit einer nur vagen Hoffnung, einmal vierundzwanzig zu werden, durch Europa gekämpft hatte. Sammy Pollock war nur dreizehn Jahre jünger als ich, aber er gehörte einer ganz anderen Generation an und lebte in einer völlig anderen Welt.
Sheila las meine Gedanken. »Sie missbilligen Sammys Lebensweise?«
»Ich beneide ihn um seine Lebensweise. Ich wünschte, ich hätte in dem Alter auch so was gehabt. Sie sind eine sehr großzügige Schwester.«
»Sie müssen etwas wissen.« Sie ließ die Hand auf dem Türgriff ruhen und sah mich mit ihren strahlenden blauen Augen ernst an. »Ich bin fünf Jahre älter als Sammy. Unsere Eltern sind tot, und ich ... nun ja, ich fühle mich für meinen Bruder verantwortlich. Und ich habe Glück gehabt. Bin groß rausgekommen. Das versetzt mich in
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