Lennox 03 - Der dunkle Schlaf
und muss sie zurückzahlen. Das kann ich jetzt nicht …« Er begann zu weinen. »Die bringen mich um.«
»Wer bringt dich um?«
»Ich bin Kredithaien Geld schuldig. Ein paar harte Knochen hier aus der Stadt.«
»Also war der Plan deine Idee?«
»Nein. Die Idee war von Iain.«
»Iain? Iain wie ›Iain der Gebückte und Gehorsame‹? Iain, der Fatzke von den Fotografien? Iain, der Sohn des Herzogs von Strathlorne?«
»Wir standen uns einmal nahe. Für eine Weile. Er braucht das Geld fast so dringend wie ich, und er hat sich den Plan ausgedacht. Er wusste über Macready Bescheid und kam mit der Idee zu mir.«
»Wieso um alles in der Welt braucht er dringend Geld? Seiner Familie gehört doch das halbe Land«, erwiderte ich ungläubig. »Und überhaupt, hat er nicht genauso viel zu verlieren wie Macready, wenn die Sache ans Licht kommt? Mehr sogar – seinen Familiennamen … die Beziehungen …«
»Iain sagte, genau deshalb würden sie das Geld ausspucken. Es wäre ein solcher Skandal, dass sie alles zahlen würden, damit es nicht publik wird. Und wenn es herauskäme, wäre es für Iain gar nicht so ein großes Problem. Seinen Vater würde es viel mehr vernichten als ihn. Und er hasst seinen Vater.«
Ich sah Downey an. Ich vermutete, dass er irisch-katholischer Abstammung war; in Glasgow stand man damit am unteren Ende der gesellschaftlichen Pyramide. Und Iain, der Herzogssohn, stand ganz oben. Wie sie einander im klassenbesessenen Großbritannien nahegestanden haben sollten, wie Downey sich ausgedrückt hatte, konnte ich mir nicht vorstellen.
»So ungewöhnlich ist das nicht«, sagte er, als erriete er meine Gedanken. »Es ist eine andere Welt. Sie sollten die Geschäftsleute und die Schnösel mal sehen, die um Glasgow Green herumscharwenzeln und etwas erleben wollen. Ich habe Iain auf einer Party im West End kennengelernt.«
In diesem Moment dämmerte mir, dass möglicherweise eine weit kompliziertere Aufgabe vor mir lag. »Hat er Abzüge der Fotografien?«, fragte ich.
»Nein.« Er sah zu der Blechdose, die ich wieder auf den Tisch gestellt hatte. »Das ist alles.« Unser nettes Geplänkel wurde von Frank unterbrochen, der plötzlich im Türrahmen hing und versuchte, mich trotz glasigem Blick zu fokussieren. Er stürmte unbeholfen los, ich wich ihm mühelos aus und knallte ihm meinen Ellbogen auf den Nasenrücken, als er vorbeistapfte. Er stürzte gegen den Tisch und katapultierte die Schale mit den brennenden Abzügen und Negativen auf den Boden. Diesmal war er nicht bewusstlos, sondern rollte sich auf die Seite und hielt sich mit beiden Händen den zertrümmerten Riechkolben. Überall war Blut. Er war am Ende.
Downey hatte wieder zu zittern begonnen. Ich packte ihn beim Hemd und zog ihn zu mir. »Sind unsere Geschäfte damit abgeschlossen, Mr. Downey?«
»Ja«, sagte er mit schwankender Stimme. »Sie hören nie wieder von mir, ich schwör’s!«
Ich drückte ihn gegen die Wand, und er verzog angsterfüllt das Gesicht. Er wusste, dass er Prügel beziehen würde, damit die Nachricht auch bestimmt ankam. Ich ballte die Faust.
»Das rate ich dir wirklich«, sagte ich, schlug aber nicht zu. Vielleicht hätte ich ihn ein wenig durch den Raum prügeln sollen, wie Fraser auf seine charmante Art gebeten hatte. Aber ich hatte meine Grenzen, stellte ich überrascht und erfreut zugleich fest. Ich ließ Downey los. »Kümmere dich um deine Freundin.«
***
Wir trafen uns um halb zehn in einem privaten Speisezimmer des Central Hotels.
Nachdem ich Downey und seine Zuckerpuppe allein gelassen hatte, hatte ich von der Telefonzelle an der Straßenecke aus Fraser und Leonora Bryson angerufen und ihnen gesagt, dass sich alle Abzüge und Negative in meinem Besitz befänden und ich die zwei Fotografiekünstler zur Geschäftsaufgabe überredet hätte. Ich erwähnte zunächst nicht, dass Iain, der feine Adelsspross, geplant hatte, von Macready in mehr als nur einer Hinsicht etwas zu empfangen. Ich konnte es ihnen noch immer sagen, wenn wir beisammen waren; auf diese Weise hatte ich mir ein wenig Zeit erkauft, um darüber nachzudenken, was das Ganze zu bedeuten hatte.
John Macready trug nebst weißem Hemd und burgunderroter Seidenkrawatte einen grau-weiß gestreiften doppelreihigen Anzug, der aussah, als wäre er gerade eben erst per Kurier aus der Jermyn Street geliefert worden. Der Kerl hatte Stil, das musste ich ihm lassen. Er saß rauchend in einem Sessel, stand aber auf, als ich hereinkam, und reichte mir die Hand.
Weitere Kostenlose Bücher